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Channel: RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Der Panther

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Lou Albert Lasard, Portrait Rainer Maria Rilke. 1916
Handschrift Rainer Maria Rilke, Gedicht der Panther.

Max Slevogt,  schwarze Panther.

Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris 

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe 
so müd geworden, daß er nichts mehr hält. 
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe 
und hinter tausend Stäben keine Welt. 

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, 
der sich im allerkleinsten Kreise dreht, 
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, 
in der betäubt ein großer Wille steht. 

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille 
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, 
geht durch der Glieder angespannte Stille - 
und hört im Herzen auf zu sein. 

Rainer Maria Rilke
  

Aus: Neue Gedichte (1907)

Animal Artists at the Jardin des Plantes. Paris.


RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
Mehr von Rilke immer unter : Mit Rilke durch das Jahr.
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Maison Courtenay 
QUOD VERUM TUTUM


Rilkes weiße Gamaschen ....

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Kleine Anekdoten
aus Geschichten und Erzählungen über Rainer Maria Rilke. [  III. ]

Rudolf Kassner, Zeichnung Ernst Noeter, Rom 1907.

Rudolf Kassner [W] ....

Rudolf Kassner über Rainer Maria Rilke.

Die Menschen wollen, wenn das Gespräch darauf kommt, immer noch etwas aus Rilkes Leben wissen, ein interessantes Detail. Ich hätte ihn gut gekannt, auch hingesehen, also müsse es da doch noch etwas geben, was andere nicht wüßten. 

Die Menschen wollen hier das Interessante wissen nicht um des Gewöhnlichen, sondern um des Geschwollenen willen, das in der Rede über Rilkes Lebensanschauung, Gottesbezichung, Glauben und so weiter im Schwange und in Büchern über ihn zu lesen ist. 
Wobei das Geschwollene nur die Umkehrung des Gewöhnlichen ist. In diesem und in jedem anderen Falle auch.

Ich habe Rilke als Ganzes empfunden, weil er ein Ganzes war und nichts bei ihm abfiel. Alles stimmte: das Kleine mit dem Großen, das Alltägliche mit dem Außerordentlichen.
Kleine Züge an ihm, über die man lacht oder sich ärgert?

"Daß er im Sommer weiße Gamaschen aus Leinen trug?" 
Darüber haben sich einige geärgert, denn ein Dichter soll keine weißen Gamaschen tragen. Oder zum Smoking abends statt der ausgeschnittenen Weste eine hochgeschlossene aus Sammt (Samt) oder Seide? 

Es war leicht einzusehen, daß er damit, mit so einer priesterlichen Weste, darüber das russische Andreas-Kreuz hing, die Weltlichkeit des Smokings einigermaßen aufheben oder auch ein wenig herabsetzen und seinem Aussehen etwas Priesterliches oder doch Dichterisches verleihen wollte. 

Auch das fanden die Leute zugleich interessant und doch auch ein wenig ärgerlich. 
Das geht im übrigen sehr gut zusammen, daß einer fort und fort auf das
Interessante aus ist und sich dabei über alles Erdenkliche ärgert. 

Eines Abends erschien Rilke in Gesellschaft einer Dame in der Odeonbar in München und hatte eine gewöhnliche, eine ausgeschnittene Weste zum Smoking an. 
Wie alle anderen Menschen. Die Zeit der hochgeschlossenen aus Sammt oder Seide war offenbar abgelaufen. 
Ich lachte zu ihm an seinen Tisch hinüber, er verstand mein Lachen, nahm es freundlich auf und gab es ebenso zurück. 
Er lachte, wie ein kleiner Junge lacht, sein Gesicht war mit Lachen wie übergossen.
Ein anderes Detail aus seinem privaten oder 
auch gewöhnlichen Leben wäre, daß er eine schöne Art hatte, Trinkgeld zu geben. 

Er gab im Verhältnis zu seinen Mitteln zuviel, denn in diesem Zuviel schien ihm der Sinn
des Trinkgeldgebens zu liegen. 
Das Trinkgeld war für ihn ganz und gar nicht die Regelung einer Angelegenheit zwischen zwei Persönlichkeiten, einer dienenden und einer, die bedient wird. 
Es hatte auch seiner Ansicht nach nichts der gleichen zu sein. 

Ich weiß einen weltberühmten Gelehrten, der, sooft er wo zu Gast ist, beim Abschied in die Küche läuft, um sich bei der Köchin für alles Genossene und die
Mühe, die sie damit hatte, zu bedanken. Dabei bleibt es.
Der weltberühmte Gelehrte ist Kommunist.

Was mich auf einen kleinen Zug bei Rilke bringt, aus welchem gar viel für sein Großes gewonnen werden könnte ....

Er verstand es, Geschenke zu machen wie nicht leicht ein anderer.
Was er schenkte, war sozusagen 
allemal das Richtige, und so eines von seinen Geschenken
blieb auch das ganze Leben lang ein Geschenk und wurde nicht mit der Zeit zu etwas, das herumliegt und im Wege ist. 
Etwas Brauchbares im gewöhnlichen Sinne, etwas Nützliches sollte es eben nicht sein. 
Er protestierte einmal heftig, als ich ihm Kiebitzeier, einen ganzen schön geflochtenen Korb damit, wie er sich in der Auslage unseren Blicken verlockend darbot, zum Geschenk machen wollte.

Nein, so etwas: zum Essen, etwas Nützliches, wollte er von mir nicht haben, dazu wären andere da. Es war während desKrieges in München, alle Menschen litten mehr oder 
weniger Hunger, und da dachte ich mir, ein immerhin Seltenes wie Kiebitzeier könne man doch Rilke gegenüber riskieren, Kiebitzeier seien schließlich doch etwas Besseres und von
höherem Rang als ein Schinken oder ein Hase. Doch an seiner Abwehr erkannte ich gleich, Kiebitzeier seien es auch nicht trotz Hunger und Krieg.  ....

Rudolf Kassner  - Sämtliche Werke 10 Bd. - Ernst Zinn

Rainer Maria Rilke | Rudolf Kassner
Freunde im Gespräch: Briefe und Dokumente
Klaus E. Bohnenkamp  | Buch bei Amazon....

Dr. Rudolf Kassner
Rudolf Kassner
Kulturphilosoph, Schriftsteller und Essayist, geb. am 11. 9. 1873 in Groß-Pawlowitz (Mähren), gest. am 1. 4. 1959 in Sierre (Schweiz). Rudolf Kassner war seit seinem ersten Lebensjahr teilweise gelähmt.[ Kinderlähmung] 

In seinem Werk versuchte er eine physiognomische Deutung des Lebendig-Gestalthaften als geistigen Ausdruck. Er entwickelte seine Gedanken aus einer konservativen Geisteshaltung heraus. Wichtigstes Medium der Erkenntnis war für ihn die Einbildungskraft.
Er studierte in Wien und Berlin Philosophie, Philologie und Geschichte.
Seine ausgedehnten Reisen führten ihn bis nach Afrika, Rußland und Indien. Zeitweise lebte er in Paris, München und London. Nach Beginn des 1. Weltkriegs zog er nach Wien.
Seine Schriften wurden von den Nationalsozialisten verboten. Kassner war mit einer Jüdin verheiratet. Seine Frau konnte aus Österreich fliehen. 

In den Jahren 1938 bis 1945 erhielt er Schreibverbot. In seinem vielschichtigen Werk versuchte er eine physiognomische Deutung des Lebendig-Gestalthaften als geistigen Ausdruck. Immer wieder bemühte er sich das Wesen des Österreichers zu bestimmen. 
Er zog 1945 in die Schweiz nach Sierre (Siders) im Wallis, wo er 1959 starb.
Zu seinen Freunden zählten Rainer Maria Rilke und Hogo von Hofmannsthal. 
Rainer Maria Rilke widmete ihm die achte Duineser Elegie. ( Siehe nächster Post.)

Er veröffentlichteunter anderem - 
Der Tod und die Maske: Gleichnisse (1902), Melancholia: eine Trilogie des Geistes (1908), Die Grundlagen der Physiognomik (1922), Das neunzehnte Jahrhundert. Ausdruck und Grösse (1947) und 
Das Antlitz des Deutschen in fünf Jahrhunderten deutscher Malerei (1954). 

Eine kleine Auswahl seiner Werke:
1902: Der Tod und die Maske: Gleichnisse
1908: Melancholia: eine Trilogie des Geistes
1910: Der Dilettantismus.
1911: Von den Elementen der menschlichen Groesse
1913: Der indische Gedanke
1914: Die Chimäre
1922: Die Grundlagen der Physiognomik
1927: Die Mythen der Seele
1928: Narciss: oder Mythos und Einbildungskraft
1932: Physiognomik
1946: Transfiguration
1947: Das neunzehnte Jahrhundert. Ausdruck und Grösse
1953: Das inwendige Reich: Versuch einer Physiognomik der Ideen
1958: Geistige Welten


Rudolf Kassner erhielt den Gottfried-Keller-Preis der Schweiz (1949), 
den Großen Österreichischen Staatspreis (1953), 
den Schiller-Preis des Landes Baden Württemberg (1955) [W]
und das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (1957).


Rudolf Kassner übersetzte außerdem Werke von Platon, Aristoteles, André Gide, Gogol, Tolstoi, Dostojewski, Puschkin, John Henry Newman und Laurence Sterne.

Bücher von oder über Rudolf Kassner bei Amazon

CARL J. BURCKHARDT | Gruß an Rudolf Kassner
Unter dem Titel „Der Zauberer“ – Gespräch und Gleichnis“ ist ein neues Buch Rudolf Kassners erschienen. Aus diesem Anlaß erbaten wir von Carl J. Burckhardt, diesem der Welt des Geistes, der Diplomatie und der Politik gleich vertrauten Manne, ein Porträt seines Freundes Kassner, der in Burckhardts Heimat, in der Schweiz, lebt.

Der 82jährige Rudolf Kassner lebt und wirkt in der kleinen Stadt Siders (Sierre) im Wallis nahe von jenem Turm Muzot, in welchem Rainer Maria Rilke bis zu seinem Lebensende wohnte. Weiter bei Zeit.de ....


RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Rilkes 8. Duineser Elegie - Rudolf Kassner zugeeignet ....

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Siehe mein letzter Post: Rilkes weiße Gamaschen, Rudolf Kassner über Rainer Maria Rilke:

Die achte Elegie

Rudolf Kassner zugeeignet

Mit allen Augen sieht die Kreatur 
das Offene. Nur unsre Augen sind 
wie umgekehrt und ganz um sie gestellt 
als Fallen, rings um ihren freien Ausgang. 
Was draußen ist, wir wissens aus des Tiers 
Antlitz allein; denn schon das frühe Kind 
wenden wir um und zwingens, dass es rückwärts 
Gestaltung sehe, nicht das Offne, das 
im Tiergesicht so tief ist. Frei von Tod. 
Ihn sehen wir allein; das freie Tier 
hat seinen Untergang stets hinter sich 
und vor sich Gott, und wenn es geht, so gehts 
in Ewigkeit, so wie die Brunnen gehen. 
      Wir haben nie, nicht einen einzigen Tag, 
den reinen Raum vor uns, in den die Blumen 
unendlich aufgehn. Immer ist es Welt 
und niemals Nirgends ohne Nicht: das Reine, 
Unüberwachte, das man atmet und 
unendlich weiß und nicht begehrt. Als Kind 
verliert sich eins im Stilln an dies und wird 
gerüttelt. Oder jener stirbt uns ists. 
Denn nah am Tod sieht man den Tod nicht mehr 
und starrt hinaus, vielleicht mit großem Tierblick. 
Liebende, wäre nicht der andre, der 
die Sicht verstellt, sind nah daran und staunen... 
Wie aus Versehn ist ihnen aufgetan 
hinter dem andern... Aber über ihn 
kommt keiner fort, und wieder wird ihm Welt. 
Der Schöpfung immer zugewendet, sehn 
wir nur auf ihr die Spiegelung des Frein, 
von uns verdunkelt. Oder dass ein Tier, 
ein stummes, aufschaut, ruhig durch uns durch. 
Dieses heisst Schicksal: gegenüber sein 
und nichts als das und immer gegenüber. 

Wäre Bewusstheit unsrer Art in dem 
sicheren Tier, das uns entgegenzieht 
in anderer Richtung -, riss es uns herum 
mit seinem Wandel. Doch sein Sein ist ihm 
unendlich, ungefasst und ohne Blick 
auf seinen Zustand, rein, so wie sein Ausblick. 
Und wo wir Zukunft sehn, dort sieht es Alles 
und sich in Allem und geheilt für immer. 

Und doch ist in dem wachsam warmen Tier 
Gewicht und Sorge einer großen Schwermut. 
Denn ihm auch haftet immer an, was uns 
oft überwältigt, - die Erinnerung, 
als sei schon einmal das, wonach man drängt, 
näher gewesen, treuer und sein Anschluss 
unendlich zärtlich. Hier ist alles Abstand, 
und dort wars Atem. Nach der ersten Heimat 
ist ihm die zweite zwitterig und windig. 
      O Seligkeit der kleinen Kreatur, 
die immer bleibt im Schoße, der sie austrug; 
o Glück der Mücke, die noch innen hüpft, 
selbst wenn sie Hochzeit hat: denn Schoß ist Alles. 
Und sieh die halbe Sicherheit des Vogels, 
der beinah beides weiß aus seinem Ursprung, 
als wär er eine Seele der Etrusker, 
aus einem Toten, den ein Raum empfing, 
doch mit der ruhenden Figur als Deckel. 
Und wie bestürzt ist eins, das fliegen muss 
und stammt aus einem Schoß. Wie vor sich selbst 
erschreckt, durchzuckts die Luft, wie wenn ein Sprung 
durch eine Tasse geht. So reißt die Spur 
der Fledermaus durchs Porzellan des Abends. 

Und wir: Zuschauer, immer, überall, 
dem allen zugewandt und nie hinaus! 
Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt. 
Wir ordnens wieder und zerfallen selbst. 

Wer hat uns also umgedreht, dass wir, 
was wir auch tun, in jener Haltung sind 
von einem, welcher fortgeht? Wie er auf 
dem letzten Hügel, der ihm ganz sein Tal 
noch einmal zeigt, sich wendet, anhält, weilt -, 
so leben wir und nehmen immer Abschied. 

Rainer Maria Rilke
7./8.2.1922, Muzot

RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Rilkes 8. Duineser Elegie bei YouTube und

„Wenn jemand uns zusammen träumt, dann treffen wir uns“ ....

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Elegie
an Marina Zwetajewa-Efron 

O Die Verluste ins All, Marina, die stürzenden Sterne! 
Wir vermehren es nicht, wohin wir uns werfen, zu welchem 
Sterne hinzu! Im Ganzen ist immer schon alles gezählt. 
So auch, wer fällt, vermindert die heilige Zahl nicht. 
Jeder verzichtende Sturz stürzt in den Ursprung und heilt. 

Wäre denn alles ein Spiel, Wechsel des Gleichen, Verschiebung, 
nirgends ein Name und kaum irgendwo heimisch Gewinn? 
Wellen, Marina, wir Meer! Tiefen, Marina, wir Himmel. 
Erde, Marina, wir Erde, wir tausendmal Frühling, wie Lerchen, 
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft. 

Wir beginnens als Jubel, schon übertrifft es uns völlig; 
plötzlich, unser Gewicht dreht zur Klage abwärts den Sang. 
Aber auch so: Klage? Wäre sie nicht: jüngerer Jubel nach unten. 
Auch die unteren Götter wollen gelobt sein, Marina. 
So unschuldig sind Götter, sie warten auf Lob wie die Schüler. 

Loben, du Liebe, laß uns verschwenden mit Lob. 
Nichts gehört uns. Wir legen ein wenig die Hand um die Hälse 
ungebrochener Blumen. Ich sah es am Nil in Kôm-Ombo. 
So, Marina, die Spende, selber verzichtend, opfern die Könige. 
Wie die Engel gehen und die Türen bezeichnen jener zu Rettenden, 
also rühren wir dieses und dies, scheinbar Zärtliche, an. 

Ach wie weit schon Entrückte, ach, wie Zerstreute, Marina, 
auch noch beim innigsten Vorwand. Zeichengeber, sonst nichts. 
Dieses leise Geschäft, wo es der Unsrigen einer 
nicht mehr erträgt und sich zum Zugriff entschließt, 

rächt sich und tötet. Denn daß es tödliche Macht hat, 
merkten wir alle an seiner Verhaltung und Zartheit 
und an der seltsamen Kraft, die uns aus Lebenden zu 
Überlebenden macht. Nicht-Sein. Weißt du’s, wie oft 
trug uns ein blinder Befehl durch den eisigen Vorraum 

neuer Geburt . . .Trug: uns? Einen Körper aus Augen 
unter zahllosen Lidern sich weigernd. Trug das in uns 
niedergeworfene Herz eines ganzen Geschlechts. An ein Zugvogelziel 
trug er die Gruppe, das Bild unserer schwebenden Wandlung. 

Liebende dürften, Marina, dürften soviel nicht 
von dem Untergang wissen. Müssen wie neu sein. 
Erst ihr Grab ist alt, erst ihr Grab besinnt sich, verdunkelt 
unter dem schluchzenden Baum, besinnt sich auf Jeher. 
Erst ihr Grab bricht ein; sie selber sind biegsam wie Ruten; 

was übermäßig sie biegt, ründet sie reichlich zum Kranz. 
Wie sie verwehen im Maiwind! Von der Mitte des Immer, 
drin du atmest und ahnst, schließt sie der Augenblick aus. 
(O wie begreif ich dich, weibliche Blüte am gleichen 
unvergänglichen Strauch. Wie streu ich mich stark in die Nachtluft, 

die dich nächstens bestreift.) Frühe erlernten die Götter 
Hälften zu heucheln. Wir in das Kreisen bezogen 
füllten zum Ganzen uns an wie die Scheibe des Monds. 
Auch in abnehmender Frist, auch in den Wochen der Wendung 
niemand verhülfe uns je wieder zum Vollsein, als der 
einsame eigene Gang über der schlaflosen Landschaft. 

Rainer Maria Rilke
Aus: Die Gedichte 1922 bis 1926 (Muzot, 8. Juni 1926)

Marina Iwanowna Zwetajewa
Marina Iwanowna Zwetajewa
* 26. September-jul./ 8. Oktober 1892-greg. in Moskau; 
† 31. August 1941 in Jelabuga, Tatarstan, war eine russische Dichterin und Schriftstellerin. 

  Sie gehört zu den bedeutendsten russischen Dichtern im 20. Jahrhundert.
Gut befreundet mit Boris Pasternak und Rainer Maria Rilke - Rilke, eine Liebe auf Distanz, eine Fernstenliebe, aber dazu später einmal mehr.

Ein Dichter, eine Dichterin – Königskinder,
sie konnten zusammen nicht kommen. 

Sie schrieben einander Briefe, wunderbare Beweise einer innigsten Beziehung.
Ein Halbgott der Dichter: Rainer Maria Rilke, umschwärmt überall, wo Menschen Verse zum Leben brauchen.


Sprühend die junge Frau, die Hölderlin und Puschkin liebte, deren Herz groß und deren Geist kühn war: Marina Zwetajewa, heute leider viel zu wenigen bekannt.

„Wenn jemand uns zusammen träumt, dann treffen wir uns“, schrieb die russische Lyrikerin Marina Zwetajewa (1892-1941) am 2. August 1926 an Rainer Maria Rilke. 
Zu einem Treffen des seelenverwandten Paares kam es nicht mehr, Rilke starb 
am 29. Dezember 1926. 

Ihr leidenschaftlicher Briefwechsel liest sich wie Poesie. 
Zwetajewas Leben und Lyrik korrespondiert mit zeitgenössischen Literaten, unter anderem Anna Achmatowa, Ossip Mandelstam, Jessinin und Majakowski. 

Ihr engster Freund Boris Pasternak charakterisiert Marina als „eine Frau mit der unternehmenden Seele eines Mannes, entschlossen, kämpferisch, unbezähmbar. Ungestüm, gierig, ja reißend drang sie im Leben und in der Kunst auf Endgültigkeit und Entschiedenheit; sie kam weit und war allen voraus.“

Rilkes Werk selbst war für Marina Zwetajewa und Boris Pasternak der Beweis dafür, dass in einer leidenden Welt unzerstörbare Werte existieren, die behütet, bewahrt, weitergegeben werden können. 

Durch ihre wunderbaren Gedichte und einen Briefwechsel haben Sie uns genau dies bewiesen und hinterlassen. Auch hierzu einmal später mehr.


Ein abenteuerliches europäisch geprägtes Leben hat die 1892 geborene Zwetajewa tragisch mit ihrem Freitod 1941 beendet.

Mädchens Tod

Der Mond überflutete das kalte Parkett
In milchig, glatten Wellen
Mit einem Blumenstrauß an der heißen Wange
Schlief ich süß im Mondlicht.

Das Leuchten und der Schlaf störten einander
Müde öffnete ich die Augen
Und des Mädchens Tod beugte sich nieder
Als rosaroter Engel ohne Flügel.

Ein Medallion zitterte an ihrem schmalen Hals
Über ihre Wangen lag ein Erröten
Sie muß gelaufen sein: ein wenig staubig
Ihre blauen Pantoffeln.

Zierliche Muster mit Goldrand
In ihren Locken türkise Fäden
Du — kleiner Junge, ich — ein Mädchen: wir
werden auf der Straße ausgelassen sein.

Leg (du bist — der Ritter) das Spitzentuch an!
Ich gab ihr stumm den Blumenstrauß . . .
In milchigen, glatten und kalten Wellen
Überflutete der Mond das Parkett.

Marina Zwetajewa

*

Ihr letztes Gedicht

Es wird Zeit, den Bernstein abzulegen,
Es wird Zeit, die Worte zu ändern
Es wird Zeit, die Fackel zu löschen
Über der Tür . . . .


RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Die Menschen wollens nicht verstehn! ....

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Rainer Maria Rilke,
Radierung von Lou Albert Lasard
Zwei Herzen haben sich gefunden
- die Menschen wollens nicht verstehn -
und die sich innig treu verbunden, 
sie sollen auseinander gehn!

Doch mächtig einen sie die Triebe, 
man trennt sie, 's ist des Schicksals Lauf, 
doch in den Herzen glüht die Liebe 
in Sehnsucht um so mächtger auf.

Er ist so bleich - sie sehns mit Bangen -
und nicht zu ändern ist sein Sinn, 
es schwanden doch von ihren Wangen 
die Rosen auch schon längst dahin!

Und eines Morgens trug man beide
- die Menschen wollens nicht verstehn -
zur Ruhe nach dem Erdenleide -
dorthin, wo still die Kreuze stehn!

Dort ruhen selig sie im Frieden 
des leeren Lebens matt und müd -
geliebt, gehofft, getrennt, geschieden
das ist das alte, alte Lied!

Rainer Maria Rilke

Gedicht aus: 
Rainer Maria Rilke Sämtliche Werke. 
Ernst Zinn - Insel Verlag Frankfurt a. Main 1955
(Band 3 S. 10)

Egon Schiele, Waldgebet, Kreuzgang. 1915.

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Die Liebenden

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Auguste Rodin, der Kuss. 1899
Die Liebenden

Sieh, wie sie zu einander erwachsen:
in ihren Adern wird alles Geist.
Ihre Gestalten beben wie Achsen,
um die es heiß und hinreißend kreist
Dürstende, und sie bekommen zu trinken,
Wache, und sieh: sie bekommen zu sehn.
Laß sie ineinander sinken,
um einander zu überstehn.

Rainer Maria Rilke
(1908, Paris)


Auguste Rodin

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Das Paradies

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Jan Brueghel der Jüngere, das Paradies.  1640
Das Paradies

Wenn nach seinem Sündenfalle
aus der Wonne Paradies,
daß der Mensch in Sorgen walle,
zürnend ihn ein Gott verstieß -

Wenn er ihn zum Leid erkoren
und zu Sorgen und Gefahr,
wenn der Menschheit das verloren,
was ihr einstens Segnung war,

so, daß will zurück er kehren
zu dem Paradies, daß ihm
muß den Eintritt streng verwehren
mit dem Schwert ein Cherubim, -

wenn ans Erdenlos gebunden
alle sind - ich ganz allein
hab den Weg zurück gefunden,
und das Paradies ist mein!

Ohne Trug! Denn nicht genügt es
mir als Bild der Phantasie,
nein in deinen Augen liegt es
wunderlieblich, Valerie!

Nein auf deinen Lippen glüht es,
wonnig herrlich unentweiht,
und durch meine Seele zieht es
nun mit Himmelsseligkeit.

Es ist mein mit seinen Wonnen,
mein mit seinem ganzen Glück,
und der Glanz der Erdensonnen
blendet nicht mehr meinen Blick.

Er erhebt sich frei mit Klarheit
zu dem deinen, denn ihm fließt
jenes Licht, das reine Wahrheit,
jenes Licht, des Leben ist.

Er entschwebt dem Erdenballe
wonnetrunken - und du rufst
ihn ins Reich der Ideale,
das du liebend ihm erschufst.

Vally, du hast mir erschlossen
wahrlich ein Elysium,
wie's die Götter nie genossen
im beglückten Altertum.

Ein durchglänztes beßres Eden,
heller, schöner noch als dies,
das in gleichnisvollen Reden
der von Nazareth verhieß ...

Wenn ein Gott mich nun vertriebe,
mir mißgönnend solches Glück -
immer führte deine Liebe
mich ins Paradies zurück.

Rainer Maria Rilke

Gedicht aus: Rainer Maria Rilke Sämtliche Werke.
Ernst Zinn - Insel Verlag Frankfurt a. Main 1955
(Band 3 S. 53-55)


RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Abendgang

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Felix Valloton, Sonnenuntergang,
Abendgang


Wir wandeln in den Abendglanz
den weißen Weg durch - Taxusbäume*,
du hast so tiefe, tiefe Träume
und windest einen weißen Kranz.

Komm, du bist müde. Kurze Rast:
Du lächelst in die heißen Fernen,
du lächelst zu den ersten Sternen,
und ich weiß, daß du Schmerzen hast.

Ich sehne mich so ... Du verstehst. -
Und dieses Sehnen wird erst enden,
wenn du mit leisen, müden Händen
die erste Wiegendecke nähst.

Rainer Maria Rilke

Gedicht aus: Rainer Maria Rilke Sämtliche Werke.
Ernst Zinn - Insel Verlag Frankfurt a. Main 1955
(Band 3 S. 445)


*  Baumkunde
Wikipedia

Taxus baccata

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Was hilft es denn ....

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J.W.Alexander, Erinnerungen. 1903


Was hilft es denn, daß ich dir aufbewahre 
aus meinem Wandern manches Wunderbare, 
das ich empfing, und das mir fremd entglitt -
ich will nicht, daß ich Rosen für dich spare, 
ich will sie jung in deinem jungen Haare, 
und wenn ich wieder in den Frühling fahre: 
dann mußt du mit.

So viele Villen weiß ich jetzt, in denen 
kein fremder Fuß die große Stille stört, 
so viele Gärten, die sich sonnig sehnen, 
mit Abenden, Terrassen und Fontänen, 
und manche warme Nacht an Arnolehnen, 
die bange ist, weil sie nicht uns gehört.


Rainer Maria Rilke

Gedicht aus: Rainer Maria Rilke Sämtliche Werke. 
Ernst Zinn - Insel Verlag Frankfurt a. Main 1955
(Band 3 S. 197)


RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Da steh ich ....

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Rainer Maria Rilke

....

Da steh ich und muß denken und muß sinnen, 
so wie ein Träumender verloren sinnt. 
Mein ganzes Herze konntest du gewinnen, 
in einem Augenblick, geliebtes Kind, 
und um mein Sein die leichten Fäden spinnen, 
die zart und weich, doch unzerreißbar sind. 
In meinem Busen glüht ein wonnig Minnen, 
und längst erwachten schon so sanft und lind 
des Herzens süße - zartgehegte Triebe 
im goldnen Morgenstrahl der jungen Liebe. 

Rainer Maria Rilke 



Gedicht aus: Rainer Maria Rilke Sämtliche Werke.  
Ernst Zinn - Insel Verlag Frankfurt a. Main 1955 
(Band 3 S. 34-35) 






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Kleine Anekdoten
aus Geschichten und Erzählungen über Rainer Maria Rilke. [  IV. ]

- Norbert Hummelt
Im stillen Haus Wo Hermann Lenz in München schrieb
Mit e. Bibliographie v. Rainer Moritz -

Hermann Lenz (1913–1998) ist vielen vor allem durch seinen neunbändigen Romanzyklus um sein Alter ego Eugen Rapp bekannt. 

Erst spät kam Lenz zu Anerkennung und Ruhm, wozu ihm auch Peter Handke 1973 durch einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung verhalf. 
1978 erhielt Lenz den Georg-Büchner-Preis, die angesehenste Auszeichnung der Literaturbranche überhaupt. Auf die Spuren von Hermann Lenz begibt sich der Schriftsteller Norbert Hummelt. Er besucht das Haus im Münchner Stadtteil Schwabing, in dem Lenz mehr als zwanzig Jahre gelebt hat. 
Dort wohnt noch immer seine Frau Hanne Lenz. Bei Hummelts Hausbesuch und im Gespräch mit der sehr lebendigen und rüstigen Hausherrin lebt die Lenz'sche Welt wieder auf. Norbert Hummelt führt sehr kenntnisreich und einfühlsam in Leben und Werk von Hermann Lenz ein. [Buchbeschreibung.]

Klassische Herrengamaschen, weiß.
[ Auszug - Rilke - ]

....  Diese Augenblicke brennen sich ins Gedächtnis ein, wohl um so mehr,weil sie sich als helle Punkte von einem immer dunkler werdenden Horizont abheben.
Die Genauigkeit der Erinnerung; eine Schutzmauer. 
Wahrend Hitler in Wien einmarschiert, seine Hand nach dem Sudetenland ausstreckt, Krieg vorbereitet, hat Eugen Rapp im Hause Treutlein die Dachstube bezogen, weil er sich unbehaglich fühlte bei seiner Vermieterin, die braune Sympathien hegte.

Zu den unheimlichsten Stellen des Romans "Neue Zeit" gehört die Schilderung einer Begegnung, die sich ereignet, als Eugen Rapp beim Siegestor über die
Straße will. 

In einer schwarzen Karosse wird jemand an ihm vorübergefahren, der ihn anblickt:

Und nun sah er den neben dem Fahrer sitzen, einen kellergesichti-
gen Menschen, dessen Schirmmütze mit braunem Samtband und Silberkordel überm Lackschild, tief ins Gesicht geschoben war, einen, dessen Oberlippe ein viereckiges Bärtchen schwärzte. 

Ja, er war's, du erkennst ihn, eine Unterarmlänge von dir entfernt, und finster
schaut er mit bläulichem Blick zu dir herauf, geduckt neben dem Fahrer; 
und der Ärmelstoff seiner senfgelben Jacke bat einen Wulst unter der Schulter, denn der dort preßte den Arm an die Tür. 

Du siehst ihn, schau ihn genau an und guck so finster wie er; 
wenn seine Begleiter dich anschreien, sagst du: 
'Je ne comprends rien de tout, messieurs.'


Das Auto schlich vorbei. 
Eugen ging über die Straße, dicht an den Bögen dieses Siegestores vorbei, und dann auf der anderen Seite weiter. Das Auto machte drüben noch eine Kehre, schlich wieder her, und der Geduckte, Kellerbleiche mit der braunen Feldwebelmütze sah ihn wieder an, nun vor dem Haus des Deutschen Rechts, das dort stand, wo früher eine Anlage mit schnörkelig verziertem, gußeisernem Pissoir gewartet hatte. 

"Schade um das Pissoir, weil doch aus diesem Pissoir vor zwanzig fahren jener Dichter Rilke, übrigens im dunkelblauen Anzug und mit weißen Gamaschen (sogenannten Hundedeckchen) herausgekommen war und Treutlein Hannis Mutter ihn damals gesehen hatte."

Du aber siehst Hitler an derselben Stelle. Schade um das Pissoir: 
Beiläufiger und zugleich ätzender kann man die tiefe Herabwürdigung des Geistes,
die von Rilke zu Hitler führt, 
kaum auf den Punkt bringen. 
Einstweilen aber konnte Lenz sich noch in die Sicherheit der Dachstube in der Mannheimer Straße 5 zurückziehen und schrieb dort seine erste Erzählung, 
»Das stille Haus«

"Im stillen Haus"
Im stillene Haus,  Buch bei :  Amazon | Buch.de | ebook.de

Mannheimerstrasse 5 GoogleMaps

Hermann-Lenz-Stiftung
Geschäftsstelle
Mannheimer Str. 5
80803 München  Webseite ....
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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Bei dir ist es traut ....

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Rainer Maria Rilke

Willy Jaeckel, Dame in gelb.

Bei dir ist es traut: 

Zage Uhren schlagen 
wie aus weiten Tagen.
Komm mir ein Liebes sagen -
aber nur nicht laut.


Ein Tor geht irgendwo 

draußen im Blütentreiben. 
Der Abend horcht an den Scheiben. 
Laß uns leise bleiben: 
Keiner weiß uns so.


Rainer Maria Rilke


Gedicht aus: Rainer Maria Rilke Sämtliche Werke. 
Ernst Zinn - Insel Verlag Frankfurt a. Main 1955
(Band 1 S. 124-125)

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Spätherbst in Venedig

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Rainer Maria Rilkes Venedig

Maurice Prendergast, (US) Venedig. 1898,99
Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder, 
der alle aufgetauchten Tage fängt. 
Die gläsernen Paläste klingen spröder 
an deinen Blick. Und aus den Gärten hängt 

der Sommer wie ein Haufen Marionetten 
kopfüber, müde, umgebracht. 
Aber vom Grund aus alten Waldskeletten 
steigt Willen auf: als sollte über Nacht 

der General des Meeres die Galeeren 
verdoppeln in dem wachen Arsenal, 
um schon die nächste Morgenluft zu teeren 

mit einer Flotte, welche ruderschlagend 
sich drängt und jäh, mit allen Flaggen tagend, 
den großen Wind hat, strahlend und fatal.


Rainer Maria Rilke
1908

Kleine Serie. Rainer Maria Rilkes Venedig.
Mehr von und über Rilkes Venedig in Gedichten, Bildern etc. Von und über Venedig
in den nächsten Posts.

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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Venedig

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Rainer Maria Rilkes Venedig
Weiter mit Gedichten Rilkes von oder über Venedig.

Maurice Prendergast, Grand Canal, Venedig.  1899
Venedig

Die junge Nacht liegt wie ein kühler Duft
auf dem Canal , und grauer nun und greiser
sind die Paläste und die Gondeln leiser,
als führte jede einen toten Kaiser
in seine Gruft.
Und viele fahren, aber eine schwenkt
jetzt scheu und ängstlich in die tiefsten Gassen,
weil tiefste Liebe oder tiefstes Hassen
ihr Steuer lenkt.
Vor einem Marmorhaus mit staubger Zier
drängt sie sich horchend an die Wappenpfähle.
Und lange ruhte keine Gondel hier.
Die Stufen warten. - Fern aus heller Kehle
am Canal grande singt ein Gondolier,
und suchend irrt sein Lied durch die Kanäle.
Der Fremde steht und trinkt den Klang voll Gier,
in lauter Lauschen löst sich seine Seele:
Vorrei morir....  [ich will sterben*]

Der Abend zog vorbei am Erdgeschoß
des Dogenhofs, und die Reflexe rannten
hin wie ein Schwarm von wunden Flagellanten.
Er aber stand so einsam ernst und groß
am Fuß der stolzen Treppe der Giganten,
und seiner Blicke dunkle Bogen spannten
sich nach dem Fenster, dessen Flächen brannten:
sie heißen es das Fenster Pellico`s.
Er nickte leise, so als stände jener
noch dort, der einst in ewig öder Haft
ergeben wie ein echter Nazarener
verzichtete auf Zorn und Kampf und Kraft.
Vielleicht giebt er den Gruß zurück und rafft
des Vorhangs Falten. Wenn noch seinen Namen
Verliebte, (die) des Wegs vorüberkamen,
zusammenträumen mit den Sündendramen,
erschien er hoch im heißen Fensterrahmen,
er lächelte das Lächeln einer zahmen
in Fesseln müd gewordnen Leidenschaft. -
Und jener unten lächelte es mit.
Dann stieg er stufenan mit scheuem Schritt
und stand oft still, im vollen Abendscheine,
drin die Arkaden, wie versteinte Haine,
zu harren schienen, daß er sie durchweine,
so traurig war er; denn es war der Eine,
der immer dankte, wenn er sprach: ich litt.
Sein Haupt war schwer, und schweren Fußes ging
er in die leeren Marmorbogengänge,
an denen wie vergessenes Gepränge
der rote, raschverwelkte Abend hing.
Ihn fröstelte, und hastig ward sein Schreiten,
das bang erklang im hallend langen Gang.
Vor seiner eignen  Lehre war ihm bang:
vor jener Lehre der Vergänglichkeiten.
Sie wuchs um ihn in säulenstarrem Hohne:
so wächst der Zorn dem rachgieren Sohne,
der aus des greisen Vaters feiger Frohne
zu eignem Wort und eignem Weh sich wand.
Er lief zuletzt. Und wie gerettet stand
er endlich still auf einsamem Balkone
und lauschte, was in langem, leisem Tone
die matte Woge sang dem Abendland.

Da knistert neben ihm ein Schleppgewand:
und bei ihm kniet in hoher Mützenkrone
mit weißem Bart ein purpurner Patrone,
und leise faltet sich die Hand zur Hand.
Und Jesus nickt und fragt den alten Mann:
"Schwarz ist der Hafen. Wo sind eure Feste?
Giebts keine Gäste mehr? An die Paläste
legt niemals mehr der bunte Jubel an?
Ich warte schon so lange, wo sind sie
die mich verehrt, die wundersamen Alten
mit Silberbärten, lang und tiefgespalten -
die Vendramin und Papadopoli.
Ich weiß: die Nacht  bewohnt in euren kalten
Palästen jetzt das beste Prunkgemach.
Denn ihr seid lang gestorben, und den Jungen
ist Lied und Lachen gar so bald verklungen
in einer Zeit, die nur mit Eisen sprach.
Jetzt sind die Gassen alle kalt und und brach,
und Trauer nur, in halbem Traum gesungen,
langt oft den flüchtenden Erinnerungen
aus einem engen grauen Hause nach.
Von keinem Lande wissen eure Stufen,
und alles kam, wie es die Vorsicht will.
Der Hochmut hohe Häuser starben still,
und nur die Kirchen dauern noch und rufen."
"Ja, Herr", spricht jetzt der Doge und entfaltet
die Hände nicht. "Der Todes Ohnmacht waltet
mit tausend tiefen Schauern über uns.
Und deine Glocken locken lauten Munds.
Du giebst  noch immer große, reiche Feste
und machst, daß deine gernbereiten Gäste
in deinen Hallen Elend und Gebreste
vergessen und wie Kinder selig sind.
Und jedes Volk, das gerne noch als Kind
sich fühlen mag, folgt in die Prachtpaläste
die du ihm aufgetan und betet blind.
Doch ich bin alt. Ich seh die Zeiten rollen
bis in den Tag, da keine Völker mehr
wie Kinder sein und Kinder spielen wollen;
denn mögen alle deine Glocken grollen,
dann bleibt auch dein Palast für ewig leer."
Der Alte schwieg. Wie betend blieb er knien.
Sternknospen sprangen an den Himmelsachsen.
Und dieses Knien schien weit hinauszuwachsen
vorbei an Christo und weit über ihn...

Rainer Maria Rilke, 
1897

Das Thema Venedig bei Rainer Maria Rilke:
Gedichte in um und über Venedig.
Geschrieben in Venedig und an anderen Orten. Rilkes Venedig.

Das Venedig Rilkes.
Zu Fuß, mit dem Vaporetto und mit der Gondel erkundete Rainer Maria Rilke die Lagunenstadt, das erste Mal 1897, das letzte Mal 1920. 
Der Markusplatz , Canal Grande, Carpaccio und Tintoretto inspirierten ihn zum schreiben. Besonders in der Renaissance war Venedig ein wichtiges Zentrum der europäischen Kunstszene. Maler und Künstler wie Bellini, Carpaccio, Tizian, Tintoretto, Veronese und Vivaldi gingen zur Blütezeit in Venedig ein und aus. 
Und noch heute ist die Lagunenstadt magnetischer Anziehungspunkt einer nicht unbedeutenden Kunstszene. Aber auch das Leben, die Salons der High Society auch eine verlassene Großwerft, das Arsenal, -
"Arsenal" ist der Name der Schiffswerft, des Zeughauses und der Flottenbasis der ehemaligen Republik Venedig (abgeleitet vom arabischen darsiná-a: „Arbeitsstätte“), -inspirierten Rilke, in und an Venedig. Vermutlich beschrieb er literarisch, als erster Schriftsteller das Ghetto in Venedig, eine kleine Zentrale Insel, das abgeschlossene Wohngebiet Jüdischer Bevölkerung seit dem 16. Jahrhundert und damit Namensgeberin aller Ghettos.

Vaporetto

Markusplatz

Canal Grande

Arsenal

Ghetto

VENEDIG : Reiseführer - Süddeutsche.de

Fotos von Carlo Naya (1816-1882) einem italienischen Fotografen:

Venedig, Cana Grande. Foto Carlo Naya. Kalog Nr. 210 Venezia

Rialto Brücke. 1875.  Foto  Carlo Naya
Panorama da S. Giorgio e gondola. Carloa Naya.
Basilika San Marco Foto Carlo Noya ca. 1877.
Katalog von Carlo Nayas Bilder.

[*Anmerkung ]
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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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San Marco

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Rainer Maria Rilke


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Maurice Pendergast, St. Mark's Venice. 1898
San Marco

Venedig

In diesem Innern, das wie ausgehöhlt
sich wölbt und wendet in den goldnen Smalten,
rundkantig, glatt, mit Köstlichkeit geölt,
ward dieses Staates Dunkelheit gehalten

und heimlich aufgehäuft, als Gleichgewicht
des Lichtes, das in allen seinen Dingen
sich so vermehrte, dass sie fast vergingen -.
Und plötzlich zweifelst du: vergehn sie nicht?

und drängst zurück die harte Galerie,
die, wie ein Gang im Bergwerk, nah am Glanz
der Wölbung hängt; und du erkennst die heile

Helle des Ausblicks aber irgendwie
wehmütig messend ihre müde Weile
am nahen Überstehn des Viergespanns.

Rainer Maria Rilke
Frühsommer 1908, Paris



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Venedig

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Rainer Maria Rilke

Maurice Pendregast, Rialto Brücke mit Gondeln. 1911-1912
Venedig.

Fremdes Rufen. Und wir wählen
Eine Gondel, schwarz und schlank:
Leises Gleiten an den Pfählen
Einer Marmorstadt entlang.

Still. Die Schiffer nur erzählen
Sich. Die Ruder rauschen sacht,
Und aus Kirchen und Kanälen
Winkt uns eine fremde Nacht.

Und der schwarze Pfad wird leiser,
Fernes Ave weht die Luft, –
Traun: Ich bin ein toter Kaiser
Und sie lenken mich zur Gruft.

Rainer Maria Rilke
28. März 1897.

Aus Advent S. 35 1. Auflage
Verlag P.Friesenhahn, Leipzig 1898.


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Clara Westhoff - Rilke

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CLARA WESTHOFF - Rilke



Clara Westhoff, Rilkes Ehefrau, Portrait von Oskar Zwintscher.
Clara Henriette Sophie Rilke, geborene Westhoff.
* 21.11.1878 in Bremen, + 9.3.1954 in Fischerhude 
war eine deutsche Bildhauerin und Malerin.

Die Künstlerin Clara Rilke-Westhoff wuchs mit ihren beiden Brüdern in Bremen-Oberneuland auf. Ihre Mutter war Johanna Westhoff, geb. Hartung, ihr Vater war der Kaufmann Friedrich Westhoff. Bereits mit siebzehn Jahren konnte Clara Westhoff dank des musischen Verständnisses ihrer Eltern ein Studium in der damaligen Kunstmetropole München beginnen. Da Frauen zu dieser Zeit in Deutschland der Zutritt zu staatlichen Akademien noch verwehrt wurde, war Clara Westhoff gezwungen, eine private Malschule zu besuchen. So trat sie 1895 in die Malschule von Fehr/Schmid-Reutte ein, wo sie Kopf-, Akt- und Landschaftsmalerei studierte. Gleichzeitig setzte sie sich couragiert für die Gleichberechtigung der Frau in der Kunstausbildung ein.

Verärgert und enttäuscht über die Münchener Arbeitsbedingungen, schloss sie sich 1898 der damals noch umstrittenen Künstlerkolonie Worpswede an und wurde Schülerin von Fritz Mackensen. Bei ihm lernte sie auch Paula Becker kennen, mit der sie bald eine tiefe menschliche und künstlerische Freundschaft verband. 

Mackensen entdeckte sofort ihre plastische Begabung und bestärkte die Künstlerin in ihrem Wunsch, Bildhauerin zu werden. Sie wurde daraufhin 1899 Schülern von Max Klinger und dessen Freund Carl Seffner. Clara Rilke-Westhoff drang damit in eine den Männer vorbehaltene Domäne ein. Zu Beginn des Jahres 1900 reiste sie mit einer Empfehlung Klingers nach Paris, um Aktzeichnen und anatomische Studien zu vertiefen. Sie besuchte Kurse an der Acad‚mie Julian und der École des Beaux Arts. Wichtig für ihre künstlerische Entwicklung war die Begegnung mit Auguste Rodin, mit dem sie bald eine künstlerische und persönliche Beziehung verband. Als einzige deutsche Schülerin konnte sie in Rodins Atelier arbeiten und besuchte zusätzlich das "Institut Rodin". Durch Rodins Einfluss löste sie sich von Mackensens Detailtreue und seinem peniblen Realismus.

Als die Künstlerin im Sommer des Jahres 1900 wieder nach Worpswede zurückkehrte, lernte sie dort Rainer Maria Rilke kennen, den sie im Frühjahr des Jahres 1901 heiratete. Das Paar siedelte ins benachbarte Westerwede über, um sich dort nach der Geburt der Tochter Ruth eine Existenz aufzubauen. Diese Ehe bedeutete einen tiefen Einschnitt in Clara Rilke-Westhoffs persönlicher und künstlerischer Entwicklung. Als Ehefrau und Mutter blieb ihr nur wenig Zeit für ihre künstlerische Tätigkeit. Dennoch betrachtete sie diese ersten Ehejahre optimistisch als Herausforderung und fertigte zahlreiche Arbeiten an, unter anderem Porträts von Vogeler, Rilke und Paula Modersohn-Becker. 

Paula Moderson Becker, Büste von Clara Rilke-Westhoff.
Rainer Maria Rilke, Büste von Clara Rilke Esthoff.
Doch bald begannen finanzielle Sorgen, die sich über Jahre hinzogen, die Schaffenskraft Clara Rilke-Westhoffs zu beeinträchtigen und stellten auch ihre Ehe vor grosse Probleme. Die meisten Aktivitäten, die das Paar unternahm, dienten ausschliesslich dazu, die finanzielle Situation zu verbessern. Als sämtliche Bemühungen eine bürgerliche Existenz aufzubauen, scheiterten, löste Clara Rilke-Westhoff 1902 den Haushalt in Westerwede auf und folgte Rilke, der Privatsekretär von Rodin geworden war, nach Paris. 

Das Kind wurde zu den Grosseltern nach Oberneuland gegeben. Doch dieser erneute Aufenthalt in Paris war für Clara Rilke-Westhoff geprägt von Sehnsucht nach der Tochter und von finanziellen Nöten. Ständig war sie auf der Suche nach Auftragsarbeiten. Sie arbeitete intensiv. Doch leider sind viele ihrer Werke aus dieser Zeit zerstört, weil die Bildhauerin nicht die Möglichkeit hatte, sie in Bronze giessen zu lassen. 

Nachdem das Paar 1903 Paris verlassen hatte, folgten Wanderjahre durch ganz Europa, die von längeren Aufenthalten in Rom, Berlin und München unterbrochen wurden. Während dieser Zeit porträtierte Clara Rilke-Westhoff bedeutende Persönlichkeiten wie Gerhart Hauptmann, Richard Dehmel, Ricarda Huch, Karl Wolfskehl, Alfred Schuler u.a. 

Gerhard Hauptmann
Heinrich Vogeler
Rainer Maria Rilke
Die unstete Lebensweise des Paares Rilke-Westhoff, die beide häufig zwang, an verschiedenen Orten zu leben und zu arbeiten, führte immer stärker zur Entfremdung.

Clara und Ruth Rilke
Im Jahr 1919 siedelte Clara Rilke Westhoff mit ihrer Tochter nach Fischerhude über, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Aus ihrem Wohnhaus mit Atelier wurde später das „Café Rilke“, das auch heute noch besteht. Es bekam von Rainer-Maria Rilke den Hausspruch: „Da vieles fiel, fing Zuversicht mich an, die Zukunft gebe, dass ich darf, ich kann!“

Um 1925 wandte sich Westhoff der Malerei zu, sodass neben ihrem plastischen Werk ein ebenso umfassendes malerisches Werk entstand. Bald nach ihrem Tod geriet sie in Vergessenheit. 
Clara Rilke Westhoff, Blumenstrauss.
Clara Rilke Wsthoff, Häuser im Schnee. 1940
Clara Rilke Westhoff, der Graben
Ihre Arbeiten befanden sich in privater Hand oder waren in verschiedenen Depots der Öffentlichkeit kaum zugänglich. 

Mit ihrer 1986 erschienenen umfassenden Biografie leitete Marina Sauer eine Rehabilitierung der Künstlerin ein, indem sie Clara Rilke-Westhoff aus dem Schattendasein befreite, nur als Ehefrau Rilkes und als Freundin Paula Modersohn-Beckers gesehen zu werden. 

Clara Rilke-Westhoff kann heute als eine Pionierin der Bildhauerei von Frauen in Deutschland gesehen werden
Bei Amazon, allerdings gebunden Ausgabe, Bild Taschenbuch.
Amazon - gebundene Ausgabe

Literatur und Quellen:
Wikipedia & Sauer, Marina: Die Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff 1878-1954, Bremen 1986 

Das Ehepaar Rilke, Clara und Rainer.
Rainer Maria Rilke und seine Ehefrau Clara Rilke-Westhoff

Paula Moderson Becker, Brustbild der Clara Rilke Westhoff.
(Man beachte die Rose im Bild und denkt an die vielen Gedichte dir Rilke über Rosen schrieb.)


Requiem

Clara Westhoff gewidmet

Seit einer Stunde ist um ein Ding mehr
auf Erden. Mehr um einen Kranz.
Vor einer Weile war das leichtes Laub… Ich wands:
Und jetzt ist dieser Efeu seltsam schwer
und so von Dunkel voll, als tränke er
aus meinen Dingen zukünftige Nächte.
Jetzt graut mir fast vor dieser nächsten Nacht,
allein mit diesem Kranz, den ich gemacht,
nicht ahnend, dass da etwas wird,
wenn sich die Ranken ründen um den Reifen;
ganz nur bedürftig, dieses zu begreifen:
dass etwas nichtmehr sein kann. Wie verirrt
in nie betretene Gedanken, darinnen wunderliche Dinge stehn,
die ich schon einmal gesehen haben muss…

…. Flussabwärts treiben die Blumen, welche die
Kinder gerissen haben im Spiel; aus den offenen
Fingern fiel eine und eine, bis dass der Strauß nicht
mehr zu erkennen war. Bis der Rest, den sie nachhaus
gebracht, gerade gut zum Verbrennen war. Dann
konnte man ja die ganze Nacht, wenn einen alle
schlafen meinen, um die gebrochenen Blumen weinen.

Gretel, von allem Anbeginn
war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben,
blond zu sterben.
Lange schon, eh dir zu leben bestimmt war.
Darum stellte der Herr eine Schwester vor dich
und dann einen Bruder,
damit vor dir wären zwei Nahe, zwei Reine,
welche das Sterben dir zeigten,
das deine:
dein Sterben.
Deine Geschwister wurden erfunden.
nur, damit du dich dran gewöhntest,
und dich an zweien Sterbestunden
mit der dritten versöhntest,
die dir seit Jahrtausenden droht.
Für deinen Tod
sind Leben erstanden;
Hände, welche Blüten banden,
Blicke, welche die Rosen rot
und die Menschen mächtig empfanden,
hat man gebildet und wieder vernichtet
und hat zweimal das Sterben gedichtet,
eh es, gegen dich selbst gerichtet,
aus der verloschenen Bühne trat.

… Nahte es dir schrecklich, geliebte Gespielin?
war es dein Feind?
Hast du dich ihm ans Herz geweint?
Hat es dich aus den heißen Kissen
in die flackernde Nacht gerissen,
in der niemand schlief im ganzen Haus…?
Wie sah es aus?
Du musst es wissen.
Du bist dazu in die Heimat gereist.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Du weißt
wie die Mandeln blühn
und dass Seeen blau sind.
Viele Dinge, die nur im Gefühle der Frau sind
welche die erste Liebe erfuhr, -
weißt du. Dir flüsterte die Natur
in des Südens spätdämmernden Tagen
so unendliche Schönheit ein,
wie sonst nur selige Lippen sie sagen
seliger Menschen, die zu zwein
eine Welt haben und eine Stimme -
leiser hast du das alles gespürt, -
(o wie hat das unendlich Grimme
deine unendliche Demut berührt).
Deine Briefe kamen von Süden,
warm noch von Sonne, aber verwaist, -
endlich bist du selbst deinen müden
bittenden Briefen nachgereist;
denn du warst nicht gerne im Glanze,
jede Farbe lag auf dir wie Schuld,
und du lebtest in Ungeduld,
denn du wusstest: das ist nicht das Ganze.
Leben ist nur ein Teil…. Wovon?
Leben ist nur ein Ton…. Worin?
Leben hat Sinn nur, verbunden mit vielen
Kreisen des weithin wachsenden Raumes, -
Leben ist so nur der Traum eines Traumes,
aber Wachsein ist anderswo.
So ließest du’s los.
Groß ließest du’s los.
Und wir kannten dich klein.
Dein war so wenig: ein Lächeln, ein kleines,
ein bisschen melancholisch schon immer,
sehr sanftes Haar und ein kleines Zimmer,
das dir seit dem Tode der Schwester weitwar.
Als ob alles andere nur dein Kleid war
so scheint es mir jetzt, du stilles Gespiel.
Aber sehr viel
warst du. Und wir wusstens manchmal,
wenn du am Abend kamst in den Saal;
wussten manchmal: jetzt müsste man beten;
eine Menge ist eingetreten,
eine Menge, welche dir nachgeht,
weil du den Weg weißt.
Und du hast ihn wissen gemusst
und hast ihn gewusst gestern…
jüngste der Schwestern.

Sieh her,
dieser Kranz ist so schwer.
Und sie werden ihn auf dich legen,
diesen schweren Kranz.
Kanns dein Sarg aushalten?
Wenn er bricht
unter dem schwarzen Gewicht,
kriecht in die Falten
von deinem Kleid
Efeu.
Weit rankt er hinauf,
rings rankt er dich um,
und der Saft, der sich in seinen Ranken bewegt,
regt dich auf mit seinem Geräusch;
so keusch bist du.
Aber du bist nichtmehr zu.
Langgedehnt bist du und laß.
Deines Leibes Türen sind angelehnt,
und nass
tritt der Efeu ein….
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
wie Reihn
von Nonnen,
die sich führen
an schwarzem Seil,
weil es dunkel ist in dir, du Bronnen.
In den leeren Gängen
deines Blutes drängen sie zu deinem Herzen;
wo sonst deine sanften Schmerzen
sich begegneten mit bleichen
Freuden und Erinnerungen, -
wandeln sie, wie im Gebet,
in das Herz, das, ganz verklungen,
dunkel, allen offen steht.

Aber dieser Kranz ist schwer
mir im Licht,
nur unter Lebenden, hier bei mir;
und sein Gewicht
ist nicht mehr
wenn ich ihn, zu dir legen werde.
Die Erde ist voller Gleichgewicht,
Deine Erde.
Er ist schwer von meinen Augen, die daran hängen,
schwer von den Gängen,
die ich um ihn getan;
Ängste aller, welche ihn sahn,
haften daran.
Nimm ihn zu dir, denn er ist dein
seit er ganz fertig ist.
Nimm ihn von mir.
Lass mich allein! Er ist wie ein Gast…
fast schäm ich mich seiner.
Hast du auch Furcht, Gretel?

Du kannst nicht mehr gehn?
Kannst nicht mehr bei mir in der Stube stehn?
Tun dir die Füße weh?
So bleib wo jetzt alle beisammen sind,
man wird ihn dir morgen bringen, mein Kind,
durch die entlaubte Allee.
Man wird ihn dir bringen, warte getrost, -
man bringt dir morgen noch mehr.
Wenn es auch morgen tobt und tost,
das schadet den Blumen nicht sehr.
Man wird sie dir bringen. Du hast das Recht,
sie sicher zu haben, mein Kind,
und wenn sie auch morgen schwarz und schlecht
und lange vergangen sind.
Sei deshalb nicht bange. Du wirst nicht mehr
unterscheiden, was steigt oder sinkt;
die Farben sind zu und die Töne sind leer,
und du wirst auch gar nicht mehr wissen, wer
dir alle die Blumen bringt.

Jetzt weißt du das Andre, das uns verstößt,
so oft wir’s im Dunkel erfasst;
von dem, was du sehntest, bist du erlöst
zu etwas, was du hast.
Unter uns warst du von kleiner Gestalt,
vielleicht bist du jetzt ein erwachsener Wald
mit Winden und Stimmen im Laub. -
Glaub mir, Gespiel, dir geschah nicht Gewalt:
Dein Tod war schon alt,
alt dein Leben begann;
drum griff er es an,
damit es ihn nicht überlebte.

……………………
Schwebte etwas um mich?
Trat Nachtwind herein?
Ich bebte nicht.
Ich bin stark und allein. -
Was hab ich heute geschafft?
….Efeulaub holt ich am Abend und wands
und bog es zusammen, bis es ganz gehorchte.
Noch glänzt es mit schwarzem Glanz.
Und meine Kraft
kreist in dem Kranz.

Rainer Maria Rilke
20.11.1900



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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Venezianischer Morgen

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Maurice Prendergast, Venedig, Canalszene. 1898 - 1899

Venezianischer Morgen

Richard Beer-Hofmann zugeeignet

Fürstlich verwöhnte Fenster sehen immer,
was manchesmal uns zu bemühn geruht:
die Stadt, die immer wieder, wo ein Schimmer
von Himmel trifft auf ein Gefühl von Flut,

sich bildet ohne irgendwann zu sein.
Ein jeder Morgen muss ihr die Opale
erst zeigen, die sie gestern trug, und Reihn
von Spiegelbildern ziehn aus dem Kanale
und sie erinnern an die andern Male:
dann giebt sie sich erst zu und fällt sich ein

wie eine Nymphe, die den Zeus empfing.
Das Ohrgehäng erklingt an ihrem Ohre;
sie aber hebt San Giorgio Maggiore
und lächelt lässig in das schöne Ding.

Rainer Maria Rilke 
Frühsommer 1908, Paris


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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Die Kurtisane

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William Turner, die Sonne von Venedig. 1843

....Venedigs Sonne wird in meinem Haar
ein Gold bereiten ....
 
Rainer Maria Rilke: Die Kurtisane

Die Kurtisane

Venedigs Sonne wird in meinem Haar
ein Gold bereiten: aller Alchemie
erlauchten Ausgang. Meine Brauen, die
den Brücken gleichen, siehst du sie

hinführen ob der lautlosen Gefahr
der Augen, die ein heimlicher Verkehr
an die Kanäle schließt, so dass das Meer
in ihnen steigt und fällt und wechselt. Wer

mich einmal sah, beneidet meinen Hund,
weil sich auf ihm oft in zerstreuter Pause
die Hand, die nie an keiner Glut verkohlt,

die unverwundbare, geschmückt, erholt -.
Und Knaben, Hoffnungen aus altem Hause,
gehn wie an Gift an meinem Mund zugrund.


Rainer Maria Rilke
Aus: Neue Gedichte
Geschrieben März 1907 auf Capri


Johann Heinrich Fuessli Halbfigur einer Kurtisane mit Federbusch.
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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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