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Channel: RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Ein Doge

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RAINER MARIA RILKE
Venedig

Weiter mit Gedichten Rilkes von oder über Venedig.

Giovanni Bellini, Portrait, Der Doge Leonardo Loredan, nach 1501
Giovanni Bellini: Der Doge Leonardo Loredan, den Corno tragend, um 1501.

Ein Doge

Fremde Gesandte sahen, wie sie geizten 
mit ihm und allem was er tat; 
während sie ihn zu seiner Größe reizten, 
umstellten sie das goldene Dogat 

mit Spähern und Beschränkern immer mehr, 
bange, dass nicht die Macht sie überfällt, 
die sie in ihm (so wie man Löwen hält) 
vorsichtig nährten. Aber er, 

im Schutze seiner halbverhängten Sinne, 
ward dessen nicht gewahr und hielt nicht inne, 
größer zu werden. Was die Signorie 

in seinem Innern zu bezwingen glaubte, 
bezwang er selbst. In seinem greisen Haupte 
war es besiegt. Sein Antlitz zeigte wie. 

Rainer Maria Rilke



....

RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
Mehr von Rilke immer unter : Mit Rilke durch das Jahr.


Geo ::.
Maison Courtenay
QUOD VERUM TUTUM

Eine Szene aus dem Ghetto von Venedig

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RAINER MARIA RILKE
Venedig

Weiter mit Gedichten und Berichten Rilkes um und über Venedig.

Ghetto Venedig.
Rilke, in und an Venedig.
Vermutlich beschrieb er literarisch, als erster Schriftsteller das Ghetto in Venedig.
Besonderes an Rilkes Zugang zu Venedig: 
Er schaute genau hin. In seinen Texten steckt viel mehr Wirklichkeit als man erwartet.

Auguste Renoir DogenPalast Venedig. 1881
Der krasse Gegensatz:


Eine Szene aus dem Ghetto von Venedig

Herr Baum, Hausbesitzer, Bezirksobmann, Ehrenoberster der freiwilligen Feuerwehr und noch verschiedenes andere, aber, um es kurz zu sagen: 
Herr Baum muß eines meiner Gespräche mit Ewald belauscht haben. Es ist kein Wunder; ihm gehört das Haus, darin mein Freund zu ebener Erde wohnt. Herr Baum und ich, wir kennen uns längst vom Sehen. Neulich aber bleibt der Bezirksobmann stehen, hebt ein wenig den Hut, so daß ein kleiner Vogel hätte ausfliegen können, im Falle einer drunter gefangen gewesen wäre. 

Er lächelt höflich und eröffnet unsere Bekanntschaft: »Sie reisen manchmal?« »Oh ja –,« erwiderte ich, etwas zerstreut, »das kann wohl sein.« Nun fuhr er vertraulich fort: »Ich glaube, wir sind die beiden Einzigen hier, die in Italien waren.« »So –,« ich bemühte mich etwas aufmerksamer zu sein –, »ja, dann ist es allerdings dringend notwendig, daß wir mit einander reden.«

Herr Baum lachte. »Ja, Italien – das ist doch noch etwas. Ich erzähle immer meinen Kindern –. Zum Beispiel nehmen Sie Venedig!« Ich blieb stehen: »Sie erinnern sich noch Venedigs?« »Aber, ich bitte Sie,« stöhnte er, denn er war etwas zu dick, um sich mühelos zu entrüsten, – »wie sollte ich nicht – wer das ein mal gesehen hat –. Diese Piazzetta – nicht wahr?« »Ja,« entgegnete ich, »ich erinnere mich besonders gern der Fahrt durch den Kanal, dieses leisen lautlosen Hingleitens am Rande von Vergangenheiten.« »Der Palazzo Franchetti«, fiel ihm ein. »Die Cà Doro«, – gab ich zurück. »Der Fischmarkt –« »Der Palazzo Vendramin –« »Wo Richard Wagner« – fügte er rasch, als ein gebildeter Deutscher, hinzu. Ich nickte: »Den Ponte, wissen Sie?« Er lächelte mit Orientierung: »Selbstverständlich, und das Museum, die Akademie, nicht zu vergessen, wo ein Tizian...«

So hat sich Herr Baum einer Art Prüfung unterzogen, die etwas anstrengend war. Ich nahm mir vor, ihn durch eine Geschichte zu entschädigen. 

Und begann ohne weiteres:
»Wenn man unter dem Ponte di Rialto hindurchfährt, an dem Fondaco de' Turchi und an dem Fischmarkt vorbei, und dem Gondoliere sagt: ›rechts!‹, so sieht er etwas erstaunt aus und fragt wohl gar: ›Dove?‹. Aber man besteht darauf nach rechts zu fahren, und steigt in einem der kleinen schmutzigen Kanäle aus, handelt mit ihm, schimpft und geht durch gedrängte Gassen und schwarze verqualmte Torgänge auf einen leeren freien Platz hinaus. Alles das einfach aus dem Grunde, weil dort meine Geschichte handelt.«

Herr Baum berührte mich sanft am Arm: »Verzeihen Sie, welche Geschichte?« Seine kleinen Augen gingen etwas beängstigt hin und her.

Ich beruhigte ihn: »Irgend eine, verehrter Herr, keine irgendwie nennenswerte. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, wann sie geschah. Vielleicht unter dem Dogen Alvise Mocenigo IV., aber es kann auch etwas früher oder später gewesen sein. Die Bilder von Carpaccio, wenn Sie solche gesehen haben sollten, sind wie auf purpurnem Samt gemalt, überall bricht etwas Warmes, gleichsam Waldiges durch, und um die gedämpften Lichter darin drängen sich horchende Schatten. Giorgione hat auf mattem, alterndem Gold, Tizian auf schwarzem Atlas gemalt, aber in der Zeit, von der ich rede, liebte man lichte Bilder, auf einen Grund von weißer Seide gesetzt, und der Name, mit dem man spielte, den schöne Lippen in die Sonne warfen und den reizende Ohren auffingen, wenn er zitternd niederfiel, dieser Name ist Gian Battista Tiepolo.

Aber das alles kommt in meiner Geschichte nicht vor.

Es geht nur das wirkliche Venedig an, die Stadt der Paläste, der Abenteuer, der Masken und der blassen Lagunennächte, die, wie keine anderen Nächte sonst, den Ton von heimlichen Romanzen tragen. – In dem Stück Venedig, von dem ich erzähle, sind nur arme tägliche Geräusche, die Tage gehen gleichförmig darüber hin, als ob es nur ein einziger wäre, und die Gesänge, die man dort vernimmt, sind wachsende Klagen, die nicht aufsteigen und wie ein wallender Qualm über den Gassen lagern. Sobald es dämmert, treibt sich viel scheues Gesindel dort herum, unzählige Kinder haben ihre Heimat auf den Plätzen und in den engen kalten Haustüren und spielen mit den Scherben und Abfällen von buntem Glasfluß, demselben, aus dem die Meister die ernsten Mosaiken von San Marco fügten. 

Ein Adeliger kommt selten in das Ghetto. Höchstens zur Zeit, wenn die Judenmädchen zum Brunnen kommen, kann man manchmal eine Gestalt, schwarz, im Mantel und mit Maske bemerken. Gewisse Leute wissen aus Erfahrung, daß diese Gestalt einen Dolch in den Falten verborgen trägt. Jemand will einmal im Mondlicht das Gesicht des Jünglings gesehen haben, und es wird seither behauptet, dieser schwarze schlanke Gast sei Marcantonio Priuli, Sohn des Proveditore Nicolò Priuli und der schönen Catharina Minelli. 

Man weiß, er wartet unter dem Torweg des Hauses von Isaak Rosso, geht dann, wenn es einsam wird, quer über den Platz und tritt bei dem alten Melchisedech ein, dem reichen Goldschmied, der viele Söhne und sieben Töchter und von den Söhnen und Töchtern viele Enkel hat. Die jüngste Enkelin, Esther, erwartet ihn, an den greisen Großvater geschmiegt, in einem niederen, dunklen Gemach, in welchem vieles glänzt und glüht, und Seide und Samt hängt sanft über den Gefäßen, wie um ihre vollen, goldenen Flammen zu stillen. 

Hier sitzt Marcantonio auf einem silbergestickten Kissen, dem greisen Juden zu Füßen, und erzählt von Venedig, wie von einem Märchen, das es nirgendwo jemals ganz so gegeben hat. Er erzählt von den Schauspielen, von den Schlachten des venetianischen Heeres, von fremden Gästen, von Bildern und Bildsäulen, von der ›Sensa‹ am Himmelfahrtstage, von dem Karneval und von der Schönheit seiner Mutter Catharina Minelli. 

Alles das ist für ihn von ähnlichem Sinn, verschiedene Ausdrücke für Macht und Liebe und Leben. Den beiden Zuhörern ist alles fremd; denn die Juden sind streng ausgeschlossen von jedem Verkehr, und auch der reiche Melchisedech betritt niemals das Gebiet des Großen Rates, obwohl er, als Goldschmied, und weil er allgemeine Achtung genoß, es hätte wagen dürfen. In seinem langen Leben hat der Alte seinen Glaubensgenossen, die ihn alle wie einen Vater fühlten, manche Vergünstigung vom Rate verschafft, aber er hatte auch immer wieder den Rückschlag erlebt. 

So oft ein Unheil über den Staat hereinbrach, rächte man sich an den Juden; die Venezianer selbst waren von viel zu verwandtem Geiste, als daß sie, wie andere Völker, die Juden für den Handel gebraucht hätten, sie quälten sie mit Abgaben, beraubten sie ihrer Güter, und beschränkten immer mehr das Gebiet des Ghetto, so daß die Familien, die sich mitten in aller Not fruchtbar vermehrten, gezwungen waren, ihre Häuser aufwärts, eines auf das Dach des anderen zu bauen. Und ihre Stadt, die nicht am Meere lag, wuchs so langsam in den Himmel hinaus, wie in ein anderes Meer, und um den Platz mit dem Brunnen erhoben sich auf allen Seiten die steilen Gebäude, wie die Wände irgend eines Riesenturms.

Der reiche Melchisedech, in der Wunderlichkeit des hohen Alters, hatte seinen Mitbürgern, Söhnen und Enkeln einen befremdlichen Vorschlag gemacht. Er wollte immer das jeweilig höchste dieser winzigen Häuser, die sich in zahllosen Stockwerken über einander schoben, bewohnen. Man erfüllte ihm diesen seltsamen Wunsch gerne, denn man traute ohnehin nicht mehr der Tragkraft der unteren Mauern und setzte oben so leichte Steine auf, daß der Wind die Wände gar nicht zu bemerken schien. 

So siedelte der Greis zwei bis dreimal im Jahre um und Esther, die ihn nicht verlassen wollte, immer mit ihm. Schließlich waren sie so hoch, daß, wenn sie aus der Enge ihres Gemachs auf das flache Dach traten, in der Höhe ihrer Stirnen schon ein anderes Land begann, von dessen Gebräuchen der Alte in dunklen Worten, halb psalmend, sprach. 

Es war jetzt sehr weit zu ihnen hinauf; durch viele fremde Leben hindurch, über steile und glitschige Stufen, an scheltenden Weibern vorüber und über die Überfälle hungernder Kinder hinaus ging der Weg, und seine vielen Hindernisse beschränkten jeden Verkehr. Auch Marcantonio kam nicht mehr zu Besuch, und Esther vermißte ihn kaum. Sie hatte ihn in den Stunden, da sie mit ihm allein gewesen war, so groß und lange angeschaut, daß ihr schien, er wäre damals tief in ihre dunklen Augen gestürzt und gestorben, und jetzt begänne, in ihr selbst, sein neues, ewiges Leben, an das er als Christ doch geglaubt hatte. Mit diesem neuen Gefühl in ihrem jungen Leib, stand sie tagelang auf dem Dache und suchte das Meer. 

Aber, so hoch die Behausung auch war, man erkannte zuerst nur den Giebel des Palazzo Foscari, irgend einen Turm, die Kuppel einer Kirche, eine fernere Kuppel, wie frierend im Licht, und dann ein Gitter von Masten, Balken, Stangen vor dem Rand des feuchten, zitternden Himmels.

Gegen Ende dieses Sommers zog der Alte, obwohl ihm das Steigen schon schwer fiel, allen Widerreden zum Trotz, dennoch um; denn man hatte eine neue Hütte, hoch über allen, gebaut. Als er nach so langer Zeit wieder über den Platz ging, von Esther gestützt, da drängten sich viele um ihn und neigten sich über seine tastenden Hände und baten ihn um seinen Rat in vielen Dingen; denn er war ihnen wie ein Toter, der aus seinem Grabe steigt, weil irgend eine Zeit sich erfüllt hat. Und so schien es auch. 

Die Männer erzählten ihm, daß in Venedig ein Aufstand sei, der Adel sei in Gefahr, und über ein kurzes würden die Grenzen des Ghetto fallen und alle würden sich der gleichen Freiheit erfreuen. Der Alte antwortete nichts und nickte nur, als sei ihm dieses alles längst bekannt und noch vieles mehr. Er trat in das Haus des Isaak Rosso, auf dessen Gipfel seine neue Wohnung lag, und stieg, einen halben Tag lang, hinauf. Oben bekam Esther ein blondes, zartes Kind. 

Nachdem sie sich erholt hatte, trug sie es auf den Armen hinaus auf das Dach und legte zum erstenmal den ganzen goldenen Himmel in seine offenen Augen. Es war ein Herbstmorgen von unbeschreiblicher Klarheit. Die Dinge dunkelten, fast ohne Glanz, nur einzelne fliegende Lichter ließen sich, wie auf große Blumen, auf sie nieder, ruhten eine Weile und schwebten dann über die goldlinigen Konturen hinaus in den Himmel. Und dort, wo sie verschwanden, erblickte man von dieser höchsten Stelle, was noch keiner vom Ghetto aus je gesehen hatte, – ein stilles, silbernes Licht: das Meer. 

Und erst jetzt, da Esthers Augen sich an die Herrlichkeit gewöhnt hatten, bemerkte sie am Rande des Daches, ganz vorn, Melchisedech. Er erhob sich mit ausgebreiteten Armen und zwang seine matten Augen in den Tag zu schauen, der sich langsam entfaltete. Seine Arme blieben hoch, seine Stirne trug einen strahlenden Gedanken; es war, als ob er opferte. 
Dann ließ er sich immer wieder vornüberfallen und preßte den alten Kopf an die schlechten kantigen Steine. Das Volk aber stand unten auf dem Platze versammelt und blickte herauf. Einzelne Gebärden und Worte erhoben sich aus der Menge, aber sie reichten nicht bis zu dem einsam betenden Greise. Und das Volk sah den Ältesten und den Jüngsten wie in den Wolken. 

Der Alte aber fuhr fort, sich stolz zu erheben und aufs neue in Demut zusammenzubrechen, eine ganze Zeit. Und die Menge unten wuchs und ließ ihn nicht aus den Augen: 
Hat er das Meer gesehen oder Gott, den Ewigen, in seiner Glorie?«

Herr Baum bemühte sich, recht schnell etwas zu bemerken. Es gelang ihm nicht gleich. 
»Das Meer wahrscheinlich,« – sagte er dann trocken, »es ist ja auch ein Eindruck« – wodurch er sich besonders aufgeklärt und verständig erwies.

Ich verabschiedete mich eilig, aber ich konnte mich doch nicht enthalten, ihm nachzurufen: »Vergessen Sie nicht, die Begebenheit Ihren Kindern zu erzählen.« Er besann sich: »Den Kindern? Wissen Sie, da ist dieser junge Adlige, dieser Antonio, oder wie er heißt, ein ganz und gar nicht schöner Charakter und dann: das Kind, dieses Kind! Das dürfte doch – für Kinder –« »Oh,« beruhigte ich ihn, »Sie haben vergessen, verehrter Herr, daß die Kinder von Gott kommen! Wie sollten die Kinder zweifeln, daß Esther eines bekam, da sie doch so nahe am Himmel wohnt!«

Auch diese Geschichte haben die Kinder vernommen, und wenn man sie fragt, wie sie darüber denken, was der alte Jude Melchisedech wohl erblickt haben mag in seiner Verzückung, so sagen sie ohne nachzusinnen: 

»Oh, das Meer auch.«

Rainer Maria Rilke 
aus : Geschichten vom lieben Gott.

Venedig

Die junge Nacht liegt wie ein kühler Duft
auf dem Canal , und grauer nun und greiser
sind die Paläste und die Gondeln leiser,
als führte jede einen toten Kaiser
in seine Gruft.
Und viele fahren, aber eine schwenkt
jetzt scheu und ängstlich in die tiefsten Gassen,
weil tiefste Liebe oder tiefstes Hassen
ihr Steuer lenkt.
Vor einem Marmorhaus mit staubger Zier
drängt sie sich horchend an die Wappenpfähle.
Und lange ruhte keine Gondel hier.
Die Stufen warten. - Fern aus heller Kehle
am Canal grande singt ein Gondolier,
und suchend irrt sein Lied durch die Kanäle.
Der Fremde steht und trinkt den Klang voll Gier,
in lauter Lauschen löst sich seine Seele:
Vorrei morir....  [ich will sterben]

Der Abend zog vorbei am Erdgeschoß
des Dogenhofs, und die Reflexe rannten
hin wie ein Schwarm von wunden Flagellanten.
Er aber stand so einsam ernst und groß
am Fuß der stolzen Treppe der Giganten,
und seiner Blicke dunkle Bogen spannten
sich nach dem Fenster, dessen Flächen brannten:
sie heißen es das Fenster Pellico`s.
Er nickte leise, so als stände jener
noch dort, der einst in ewig öder Haft
ergeben wie ein echter Nazarener
verzichtete auf Zorn und Kampf und Kraft.
Vielleicht giebt er den Gruß zurück und rafft
des Vorhangs Falten. Wenn noch seinen Namen
Verliebte, (die) des Wegs vorüberkamen,
zusammenträumen mit den Sündendramen,
erschien er hoch im heißen Fensterrahmen,
er lächelte das Lächeln einer zahmen
in Fesseln müd gewordnen Leidenschaft. -
Und jener unten lächelte es mit.
Dann stieg er stufenan mit scheuem Schritt
und stand oft still, im vollen Abendscheine,
drin die Arkaden, wie versteinte Haine,
zu harren schienen, daß er sie durchweine,
so traurig war er; denn es war der Eine,
der immer dankte, wenn er sprach: ich litt.
Sein Haupt war schwer, und schweren Fußes ging
er in die leeren Marmorbogengänge,
an denen wie vergessenes Gepränge
der rote, raschverwelkte Abend hing.
Ihn fröstelte, und hastig ward sein Schreiten,
das bang erklang im hallend langen Gang.
Vor seiner eignen  Lehre war ihm bang:
vor jener Lehre der Vergänglichkeiten.
Sie wuchs um ihn in säulenstarrem Hohne:
so wächst der Zorn dem rachgieren Sohne,
der aus des greisen Vaters feiger Frohne
zu eignem Wort und eignem Weh sich wand.
Er lief zuletzt. Und wie gerettet stand
er endlich still auf einsamem Balkone
und lauschte, was in langem, leisem Tone
die matte Woge sang dem Abendland.

Da knistert neben ihm ein Schleppgewand:
und bei ihm kniet in hoher Mützenkrone
mit weißem Bart ein purpurner Patrone,
und leise faltet sich die Hand zur Hand.
Und Jesus nickt und fragt den alten Mann:
"Schwarz ist der Hafen. Wo sind eure Feste?
Giebts keine Gäste mehr? An die Paläste
legt niemals mehr der bunte Jubel an?
Ich warte schon so lange, wo sind sie
die mich verehrt, die wundersamen Alten
mit Silberbärten, lang und tiefgespalten -
die Vendramin und Papadopoli.
Ich weiß: die Nacht  bewohnt in euren kalten
Palästen jetzt das beste Prunkgemach.
Denn ihr seid lang gestorben, und den Jungen
ist Lied und Lachen gar so bald verklungen
in einer Zeit, die nur mit Eisen sprach.
Jetzt sind die Gassen alle kalt und und brach,
und Trauer nur, in halbem Traum gesungen,
langt oft den flüchtenden Erinnerungen
aus einem engen grauen Hause nach.
Von keinem Lande wissen eure Stufen,
und alles kam, wie es die Vorsicht will.
Der Hochmut hohe Häuser starben still,
und nur die Kirchen dauern noch und rufen."
"Ja, Herr", spricht jetzt der Doge und entfaltet
die Hände nicht. "Der Todes Ohnmacht waltet
mit tausend tiefen Schauern über uns.
Und deine Glocken locken lauten Munds.
Du giebst  noch immer große, reiche Feste
und machst, daß deine gernbereiten Gäste
in deinen Hallen Elend und Gebreste
vergessen und wie Kinder selig sind.
Und jedes Volk, das gerne noch als Kind
sich fühlen mag, folgt in die Prachtpaläste
die du ihm aufgetan und betet blind.
Doch ich bin alt. Ich seh die Zeiten rollen
bis in den Tag, da keine Völker mehr
wie Kinder sein und Kinder spielen wollen;
denn mögen alle deine Glocken grollen,
dann bleibt auch dein Palast für ewig leer."
Der Alte schwieg. Wie betend blieb er knien.
Sternknospen sprangen an den Himmelsachsen.
Und dieses Knien schien weit hinauszuwachsen
vorbei an Christo und weit über ihn...


Rainer Maria Rilke

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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
Mehr von Rilke immer unter : Mit Rilke durch das Jahr.


Geo ::.
Maison Courtenay
QUOD VERUM TUTUM

Ghetto Venedig ....

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RAINER MARIA RILKE
Venedig


Pierre Auguste Renoir, Markusplatz in Venedig. 1881
Rainer Maria Rilke
Vermutlich beschrieb er literarisch, als erster Schriftsteller das Ghetto in Venedig, eine kleine Zentrale Insel, das abgeschlossene Wohngebiet Jüdischer Bevölkerung seit 
dem 16. Jahrhundert und damit Namensgeberin aller Ghettos.

Ghetto, Venedig-Wikipedia
GHETTO: 
Das ehemalige Judenviertel in Cannaregio stellt auch heute noch eine Insel dar, sichtbar an den Brücken über die das Wohngebiet umschließenden Kanäle und an dem Sotoportego del Ghetto Vecchio bei den Fondamenta di Cannaregio. 1516 wies die Republik den Juden, die sich bereits seit 1000 auf der Insel Spinalunga (später Giudecca) ansiedelten, dieses Wohn-und Arbeitsgebiet zu, das 1541 mit dem Ghetto Nuovo erweitert wurde. 

Da die Zahl der Emigranten aus allen Teilen Europas und auch des Orients ständig wuchs (hier lebten bis zu 5000 Menschen), der zugewiesene Raum jedoch gleich blieb, baute man die Häuser in den Himmel; acht Stockwerke sind keine Seltenheit. Es entstand ein kulturell produktives und sozial eng verbundenes Gemeinwesen, das der Senat duldete, da die Stadt selbst vom Handelsgeschick, dem Bankwesen und auch der ärztlichen Kunst der Ghettobewohner profitierte. 

Erst Napoleon schaffte 1797 den Ghettozwang ab. Die fünf Synagogen (16.Jh.) gliederten sich nach den Ursprungsländern der jüdischen Emigranten. Sie sind gemäß der damals gültigen Bauvorschriften für das Ghetto nicht als Sakralbauten erkennbar und von den Wohnhäusern aus zugänglich. Die heute in allen europäischen Sprachen verwandte Bezeichnung "Ghetto" für ein abgeschlossenes (jüdisches) Wohngebiet kommt wohl vom venezianischen getàr, was "gießen" bedeutet (im Bereich des Judenviertels lagen ehemals Gießereien). Bronzetafeln an einer Wand neben dem Jüdischen Altersheim (Campo del Ghetto Nuovo, an diesem Platz liegt auch das Museo d' Arte Ebraica) erinnern an die Deportation und Ermordung von 205 venezianischen Juden im Zweiten Weltkrieg.

Ghetto - Venedig

Ghetto

Begriffserklärung

John Roddam Spencer Stanhope, Engelduo. 

Ach, da wir hülfe von Menschen erharrten

Ach, da wir hülfe von Menschen erharrten: stiegen
Engel lautlos mit einem Schritte hinüber
über das liegende Herz

Rainer Maria Rilke
11.7.1912, Venedig
Brief an Marie Taxis vom 12.7.1912

Das Kind

auf zu großem Gesicht
der schöne befriedigte Ausschlag
rühmt die rührige Welt
die sich der Leistung nicht schämt.

Rainer Maria Rilke
Mitte Juli 1912, Venedig
Gedichte 1906 bis 1926.
Aus: Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte 
aus den mittleren und späten Jahren.

....und das offne Glück

und das offne Glück
hinreißender Himmel

Rainer Maria Rilke 
um den 1.8.1912, Venedig
Sämtliche Werke, Band II


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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Rilkes weiße Gamaschen ....

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RAINER MARIA RILKE
Rilkes weiße Gamaschen

Kleine Anekdoten
aus Geschichten und Erzählungen über Rainer Maria Rilke. [ V. ]


Gamaschen oder sogenannte "Hundedecken"
Werner Hellwig schreibt so anmutig, so ganz locker mit leichter Hand über
seine Begegnung mit Rilke. 

Werner Helwig über seine Begegnung mit Rilke 1926 in
Werner Helwig Begegnungen, hinunter scrollen und bei Rainer Maria Rilke weiterlesen....


Er sieht Rilke dort bei einer Begegnung Bekleidet mit einem "Ulster" 
und weißen Gamaschen ....

Ulster Mantel Januar 1903

Rilke sieht man nicht so oft lächelnd hier tue er es.

Rainer Maria Rilke mit weißen Gamaschen
 Rilke auf einer Weinbergmauer ( schwäbisch Wengertermäuerle) im Wallis.
Rainer Maria Rilke mit weißen Gamaschen beim Spaziergang.
und es gab auch noch "graue" Gamaschen .,..

Rilke im schweren Mantel, lachend, mit einer Krankenschwester,
vermutlich Luiuse Simonin
Rainer Maria Rilke, Leben und Werk im Bild, Ingeborg Schnack, 
das Buch (Bücher) gibt es bei Amazon gebraucht gut erhalten.



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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Rilkes erste Venedigreise 1897

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RAINER MARIA RILKE
Venedig

weiter mit Rilkes Venedig.

Vorbereitung zu Rilkes 1. Venedigreise eine kleine Zeitleiste:

1897
20. MÄRZ: In Arco notiert Rilke neben eine eigene Zeichnung 
von Varone am Gardasee die Verse: " .... " und sinnt über Venedig.

24· MÄRZ: "Eine Einladung hat mich hierher berufen und 
wird mich vielleicht bis Venedig führen ... "

25. MÄRZ: Vor der Reise nach Venedig heißt es: 
"Ich lese was Goethe in der Italienischen Reise von Venedig erzählt; 
das ist meist sehr nüchtern und dreht sich um die Schaubühnen und das Volksleben. 
Goethe war damals noch recht unmodern. 
Denn später scheint er mir viel mehr Empfinden für -die Stimmung' an sich- gehabt zu haben .... " 
(an M. N. Goudstikker) 

27. MÄRZ: Rilke beschreibt seine Pläne für Venedig im einzelnen: 
"Am Sonntag muß ich den Marcusthurm besteigen, den Dogenpalast erstürmen 
und die Kirche Redentore, die mich arn Goethes Erwähnung willen sehr interessiert, beschauen .... "
(an M. N. Goudstikker) 

28. - 31. MÄRZ: Rilkes erster Aufenthalt in Venedig.
Er ist zu diesem Abstecher aus Arco von seinem Freund Nathan Sulzberger eingeladen worden.
Neben dem kleinen Zyklus von vier Gedichten, den Rilke unter dem Titel "Venedig" 
in "Advent" aufnimmt, sind aus diesen Tagen weitere -Venedig" 
Gedichte erhalten, darunter "Nacht am Kanal. 
Die Marmorgnade / der Kuppelkirchen schimmert her .... " 

28'/29, MÄRZ: Rilke schreibt aus dem Hotel Britannia in Venedig einen siebenseitigen Brief an
M. N. Goudstikker mit vielen Einzelheiten und Gedichten, darunter 
"Poppe, fahr zu! .... "

Rainer Maria Rilke

Mein Ruder sang ....

Poppé, fahr zu!
Ein Volk von Sklaven
drängt sich im Hafen
um nüchterne Feste.
Und die Paläste
können nicht schlafen.
Poppé, fahr zu!

Eisige Ruh
in Marmorgliedern
mit matten Lidern
erschauern die Plätze.
Im Gassennetze
betteln die Niedern.
Poppé, fahr zu!

Sag mir, weißt du
noch von den Toten,
die hier geboten
in köstlichen Kronen?
Wo sie jetzt wohnen,
die Purpurroten?
- - - - - - - - - - -
Poppe, fahr zu!

Hotel Britannia, im 19. Jahrhundert:
Palazzo Tiepolo und die Gebäude, die den schönen Innenhof hatten, waren bereits in ein Hotel umgewandelt worden. Zunächst unter dem Namen Hotel Barbesi (1868) betrieben, wurde es später als Hotel Britannia (1881) bekannt. 
Der Eigentümer und Manager war ein Herr namens Carlo Walther.

Im Herbst 1908 war es hier, dass der berühmte Maler des Impressionismus Claude Monet im Hotel blieb, nach einer lange Reise, in der er mit der herrlichen Aussicht, die das Hotel ihm bot. In einem Brief, datiert vom 16. Oktober 1908, schrieb er an seine Frau : 
"Wir sind endlich im Hotel angekommen Britannia, 
mit Aussicht, sogar noch schöner als der Palazzo Barbaro ...."


Claude Monet, Abendstimmung in Venedig, 1908
Mathilde Nora Goudstikker
Im April 1897 widmet Rilke seinen Einakter "Höhenluft" 
Mathilde Nora Goudstikker (1874-1934), einer MünchnerFotografin. 
Die Briefe Rilkes an sie befinden sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. 

Mathilde Nora Goudstikker : DLA- deutsches Literaturarchiv

DLA - Briefe Rilkes



VENEDIG 

Die vier Gedichte:

I

Fremdes Rufen. Und wir wählen

Rainer Maria Rilke

Fremdes Rufen. Und wir wählen
eine Gondel, schwarz und schlank:
Leises Gleiten an den Pfählen
einer Marmorstadt entlang.

Still. Die Schiffer nur erzählen
sich. Die Ruder rauschen sacht,
und aus Kirchen und Kanälen
winkt uns eine fremde Nacht.

Und der schwarze Pfad wird leiser,
fernes Ave weht die Luft, -
traun: Ich bin ein toter Kaiser,
und sie lenken mich zur Gruft.


II

Immer ist mir, daß die leisen

Rainer Maria Rilke

Immer ist mir, daß die leisen
Gondeln durch Kanäle reisen
irgend jemand zum Empfang.
Doch das Warten dauert lang,
und das Volk ist arm und krank,
und die Kinder sind wie Waisen.

Lange harren die Paläste
auf die Herren, auf die Gäste,
und das Volk will Kronen sehn.
Auf dem Markusplatze stehn
möcht ich oft und irgendwen
fragen nach dem fernen Feste.

III

Poppé, fahr zu

Rainer Maria Rilke

Mein Ruder sang

Poppé, fahr zu!
Ein Volk von Sklaven
drängt sich im Hafen
um nüchterne Feste.
Und die Paläste
können nicht schlafen.
Poppé, fahr zu!

IV

Ave weht von den Türmen her

Rainer Maria Rilke

Ave weht von den Türmen her.
Immer noch hörst du die Kirchen erzählen;
doch die Paläste an stillen Kanälen
verraten nichts mehr.

Und vorbei an der Traumesruh
ihrer schlafenden Stirnen schwanken
leise Gondeln wie schwarze Gedanken
dem Abend zu.
*

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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Ich lieb ein pulsierendes Leben ....

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RAINER MARIA RILKE

Rainer Maria Rilke

“ Ich lieb ein pulsierendes Leben, 
das prickelt und schwellet und quillt, 
ein ewiges Senken und Heben, 
ein Sehnen, das niemals sich stillt.
Ein stetiges Wogen und Wagen 
auf schwanker, gefährlicher Bahn, 
von den Wellen des Glückes getragen
im leichten, gebrechlichen Kahn ….
Und senkt einst die Göttin die Waage, 
zerreißt sie, was mild sie gewebt, -
ich schließe die Augen und sage: 
Ich habe geliebt und gelebt! 

— 
Rainer Maria Rilke


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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Article 1

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RAINER MARIA RILKE


“Meine letzte Hoffnung war dann immer das Fenster. 
Ich bildete mir ein, dort draußen könnte noch etwas sein, was zu mir gehörte, auch jetzt, auch in dieser plötzlichen Armut des Sterbens. 
Aber kaum hatte ich hingesehen, so wünschte ich, das Fenster wäre verrammelt gewesen, zu, wie die Wand. 
Denn nun wußte ich, daß es dort hinaus immer gleich teilnahmslos weiterging, daß auch draußen nichts als meine Einsamkeit war. Die Einsamkeit, die ich über mich gebracht hatte und zu deren Größe mein Herz in keinem Verhältnis mehr stand. 
Menschen fielen mir ein, von denen ich einmal fortgegangen war, und ich begriff nicht, wie man Menschen verlassen konnte.”

— 
Rainer Maria Rilke, 
Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge


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Rilke & Hammershøi

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Vilhelm Hammershøi



"Man fühlt, daß er nur malt und nichts anderes kann oder will."

Rainer Maria Rilke & Vilhelm Hammershøi.


Vilhelm Hammershoi. 1895
Durch Hammershøis Teilnahme an einer Ausstellung im Städtischen Kunstpalast in Düsseldorf wurde der Dichter Rainer Maria Rilke auf Hammershøi aufmerksam und schrieb nach einem Besuch bei dem Maler in Kopenhagen: 

"Gestern habe ich zum erstenmal Hammershøi gesehen… ich bin sicher, je öfter man ihn sieht, desto deutlicher wird man ihn erkennen, und desto mehr wird man seine wesentliche Schlichtheit finden. 

Ich werde ihn wiedersehen, ohne mit ihm zu sprechen, denn er spricht nur Dänisch und versteht kaum Deutsch."


La Route Royale, prés de Gentofte, Crayon.
Die vier Zimmer
Ein Raum im Haus des Malers in Strandgate, Kopenhagen mit der Frau des Malers. 1901
Sondermarken Park  im Winter 1895-96
Vilhelm Hammershoi, Landschaft von Lejre
Vilhelm Hammershøi 
* 15. Mai 1864 in Kopenhagen,
† 13. Februar 1916 Kopenhagen,
war ein dänischer Maler und gilt als Vertreter des Symbolismus. 
Seine melancholischen Interieurs, Porträts, Landschafts- und Architekturdarstellungen erinnern an den US-amerikanischen Maler James McNeill Whistler, den Hammershøi sehr verehrte. 

Hammershøi wird auch auch als „dänischer Vermeer“ bezeichnet.

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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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QUOD VERUM TUTUM

Geduld ....

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Rainer Maria Rilke
Über die Geduld


Man muss den Dingen
die eigene, stille
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und
dann gebären...
Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen
des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur
zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit
vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit...
Man muss Geduld haben
Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen
selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer
sehr fremden Sprache
geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.

Rainer Maria Rilke

Rainer Maria Rilke . 1875-1926
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QUOD VERUM TUTUM

Die Liebende

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Rainer Maria Rilke
Gedichte


Die Liebende


Das ist mein Fenster. Eben
bin ich so sanft erwacht.
Ich dachte, ich würde schweben.
Bis wohin reicht mein Leben,
und wo beginnt die Nacht?

Ich könnte meinen, alles
wäre noch Ich ringsum;
durchsichtig wie eines Kristalles
Tiefe, verdunkelt, stumm.

Ich könnte auch noch die Sterne
fassen in mir; so groß
scheint mir mein Herz; so gerne
ließ es ihn wieder los

den ich vielleicht zu lieben,
vielleicht zu halten begann.
Fremd, wie niebeschrieben
sieht mich mein Schicksal an.

Was bin ich unter diese
Unendlichkeit gelegt,
duftend wie eine Wiese,
hin und her bewegt,

rufend zugleich und bange,
daß einer den Ruf vernimmt,
und zum Untergange
in einem Andern bestimmt.

Rainer Maria Rilke

Gedicht aus: Rainer Maria Rilke Sämtliche Werke.
Ernst Zinn - Insel Verlag Frankfurt a. Main 1955
(Band 1 S. 621-622)

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QUOD VERUM TUTUM

Rainer Maria Rilke - über Geduld . . . .

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Rainer Maria Rilke



Rainer Maria Rilke

Rainer Maria Rilke - über Geduld . . . . 

Ich lerne es täglich,
lerne es unter Schmerzen,
denen ich dankbar bin: Geduld ist alles !


Rainer Maria Rilke



Rainer Maria Rilke starb am 
† 29. Dezember 1926 im Sanatorium Valmont bei Montreux, Schweiz, an Leukämie.

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Rainer Maria Rilke . 1875-1926

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O die Kurven meiner Sehnsucht durch das Weltall

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Rainer Maria Rilke
Gedichte

Oskar Zwintscher, Portrait Rainer Maria Rilke
O die Kurven meiner Sehnsucht durch das Weltall,
und auf jedem Streifen: meines Wesens
hingeschleudert. Manches nicht vor tausend
Jahren auf der wehn Ellipse seines
Schwunges wiederkommend und vorüber.
Eilend durch die einst gewesne Zukunft,
sich erkennend in den Jahreszeiten
oder luftig, als genauer Einfluss
beinah sternisch in den überwachen
Apparanten eine Weile bebend.

Rainer Maria Rilke

Mitte Juli 1912, Venedig
Gedichte 1906 bis 1926.
Aus: Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte 
aus den mittleren und späten Jahren.

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Oskar Zwintscher, Selbstbildnis. 1895
Der Maler Oskar Zwintscher, bei Rainer Maria Rilke

Geschenktip.
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Die Städte ....

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Rainer Maria Rilke
Rilkes Gedicht „Die Städte“ enthält eine noch immer aktuelle Zivilisationskritik.


Die Städte aber wollen nur das Ihre

Die Städte aber wollen nur das Ihre
und reißen alles mit in ihren Lauf.
Wie hohles Holz zerbrechen sie die Tiere
und brauchen viele Völker brennend auf.

Und ihre Menschen dienen in Kulturen
und fallen tief aus Gleichgewicht und Maß,
und nennen Fortschritt ihre Schneckenspuren
und fahren rascher, wo sie langsam fuhren,
und fühlen sich und funkeln wie die Huren
und lärmen lauter mit Metall und Glas.

Es ist, als ob ein Trug sie täglich äffte,
sie können gar nicht mehr sie selber sein;
das Geld wächst an, hat alle ihre Kräfte
und ist wie Ostwind groß, und sie sind klein
und ausgeholt und warten, daß der Wein
und alles Gift der Tier- und Menschensäfte
sie reize zu vergänglichem Geschäfte.

Und deine Armen leiden unter diesen
und sind von allem, was sie schauen, schwer
und glühen frierend wie in Fieberkrisen
und gehn, aus jeder Wohnung ausgewiesen,
wie fremde Tote in der Nacht umher;
und sind beladen mit dem ganzen Schmutze,
und wie die Sonne Faulendes bespien, -
von jedem Zufall, von der Dirnen Putze,
von Wagen und Laternen angeschrien.

Und gibt es einen Mund zu ihrem Schutze,
so mach ihn mündig und bewege ihn.

Rainer Maria Rilke


Städte

Skyline von Congqin
Tokio, Skyview
Die größte Metropolregion der Welt ist Tokio-Yokohama, wo auf einer Fläche von 13.556 Quadratkilometern 36 Millionen Menschen (2011) leben. 
Die Bevölkerungsdichte beträgt 2.744 Einwohner pro Quadratkilometer. 

Eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Erde außerhalb von Großstädten weist das Nildelta auf. In dem etwa 24.000 Quadratkilometer großen Gebiet leben über 60 Millionen Menschen. Die Bevölkerungsdichte liegt mit rund 2.500 Einwohnern pro Quadratkilometer ähnlich hoch wie in der Metropolregion Tokio.

Auch das Gangesdelta ist dicht wie eine Metropolregion besiedelt. Auf etwa 105.000 Quadratkilometer leben 150 Millionen Menschen, was einer Bevölkerungsdichte von 1.430 Einwohnern pro Quadratkilometer entspricht. 

Die Bildung einer großflächigen, extrem hohen Besiedlungsdichte ist also nicht immer an das Vorhandensein einer zentralen Metropole gebunden, vielmehr kann sie auch in „ländlichen“ Gebieten wie den besonders fruchtbaren tropischen und subtropischen Flussdeltas entstehen (wenngleich in den Deltas auch Millionenmetropolen liegen, etwa Kairo am Nildelta oder Kalkutta und Dhaka im Gangesdelta).

Wenn man ausschließlich die administrativen Stadtgrenzen heranzieht, 
ist die chinesische Stadt Chongqing die größte der Welt. 

Congqing
Sie stellt als „regierungsunmittelbare Stadt“ eine eigenständige Verwaltungseinheit mit 31,8 Millionen Einwohnern (2009) dar. Die Fläche des Verwaltungsgebietes der Stadt ist mit 82.403 Quadratkilometern allerdings beinahe so groß wie der Staat Österreich (83.871 Quadratkilometer) und besteht überwiegend aus Gebieten mit ländlicher Siedlungsstruktur. Die administrativen Stadtgrenzen gehen weit über die Grenzen der Metropolregion Chongqing (9.623 Quadratkilometer und 7,7 Millionen Einwohner) hinaus.

Dubai-a-view-from-the-skyscraper-BurjKhalifa.
....   Rilkes Gedicht „Die Städte“ enthält eine noch immer aktuelle Zivilisationskritik.

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An Franz Xaver Kappus

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Rainer Maria Rilke
An Franz Xaver Kappus
z. Zt. Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903



Rainer Maria Rilke
Vor etwa zehn Tagen habe ich Paris verlassen, recht leidend und müde, und bin in eine große nördliche Ebene gefahren, deren Weite und Stille und Himmel mich wieder gesund machen soll. Aber ich fuhr in einen langen Regen hinein, der heute erst sich ein wenig lichten will über dem unruhig werdenden Land; und ich benutze diesen ersten Augenblick Helle, um Sie zu grüßen, lieber Herr.

Sehr lieber Herr Kappus: Ich habe einen Brief von Ihnen lange ohne Antwort gelassen, nicht daß ich ihn vergessen hätte - im Gegenteil: er war von der Art derer, die man wieder liest, wenn man sie unter den Briefen findet, und ich erkannte Sie darin wie aus großer Nähe. Es war der Brief vom zweiten Mai, und Sie erinnern sich seiner gewiß. Wenn ich ihn, wie jetzt, in der großen Stille dieser Ferne lese, dann rührt mich Ihre schöne Sorge um das Leben, mehr noch, als ich das schon in Paris empfunden habe, wo alles anders anklingt und verhallt wegen des übergroßen Lärmes, von dem die Dinge zittern. Hier, wo ein gewaltiges Land um mich ist, über das von den Meeren her die Winde gehen, hier fühle ich, daß auf jene Fragen und Gefühle, die in ihren Tiefen ein eigenes Leben haben, nirgend ein Mensch Ihnen antworten kann; denn es irren auch die Besten in den Worten, wenn sie Leisestes bedeuten sollen und fast Unsägliches. 

Aber ich glaube trotzdem, daß Sie nicht ohne Lösung bleiben müssen, wenn Sie sich an Dinge halten, die denen ähnlich sind, an welchen jetzt meine Augen sich erholen. Wenn Sie sich an die Natur halten, an das Einfache in ihr, an das Kleine, das kaum einer sieht, und das so unversehens zum Großen und Unermeßlichen werden kann; wenn Sie diese Liebe haben zu dem Geringen und ganz schlicht als ein Dienender das Vertrauen dessen zu gewinnen suchen, was arm scheint: dann wird Ihnen alles leichter, einheitlicher und irgendwie versöhnender werden, nicht im Verstande vielleicht, der staunend zurückbleibt, aber in Ihrem innersten Bewußtsein, Wach-sein und Wissen. 

Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbstliebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. 
Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.
Vielleicht tragen Sie ja in sich die Möglichkeit, zu bilden und zu formen, als eine besonders selige und reine Art des Lebens; erziehen Sie sich dazu, - aber nehmen Sie das, was kommt, in großem Vertrauen hin, und wenn es nur aus Ihrem Willen kommt, aus irgendeiner Not Ihres Innern, so nehmen Sie es auf sich und hassen Sie nichts. 
Das Geschlecht ist schwer; ja. Aber es ist Schweres, was uns aufgetragen wurde, fast alles Ernste ist schwer, und alles ist ernst. Wenn Sie das nur erkennen und dazu kommen, aus sich, aus Ihrer Erfahrung und Kindheit und Kraft heraus ein ganz eigenes (von Konvention und Kindheit und Sitte nicht beeinflußtes) Verhältnis zu dem Geschlecht zu erringen, dann müssen Sie nicht mehr fürchten, sich zu verlieren und unwürdig zu werden Ihres besten Besitzes.

Die körperliche Wollust ist ein sinnliches Erlebnis, nicht anders als das reine Schauen oder das reine Gefühl, mit dem eine schöne Frucht die Zunge füllt; sie ist eine große, unendliche Erfahrung, die uns gegeben wird, ein Wissen von der Welt, die Fülle und der Glanz alles Wissens. Und nicht, daß wir sie empfangen, ist schlecht; schlecht ist, daß fast alle diese Erfahrung mißbrauchen und vergeuden und sie als Reiz an die müden Stellen ihres Lebens setzen und als Zerstreuung statt als Sammlung zu Höhepunkten. Die Menschen haben ja auch das Essen zu etwas anderem gemacht: Not auf der einen, Überfluß auf der anderen Seite haben die Klarheit dieses Bedürfnisses getrübt, und ähnlich trübe sind alle die tiefen, einfachen Notdürfte geworden, in denen das Leben sich erneuert. Aber der einzelne kann sie für sich klären und klar leben (und wenn nicht der einzelne, der zu abhängig ist, so doch der Einsame). 

Er kann sich erinnern, daß alle Schönheit in Tieren und Pflanzen eine stille dauernde Form von Liebe und Sehnsucht ist, und er kann das Tier sehen, wie er die Pflanze sieht, geduldig und willig sich vereinigend und vermehrend und wachsend nicht aus physischer Lust, nicht aus physischem Leid, Notwendigkeiten sich neigend, die größer sind als Lust und Leid und gewaltiger denn Wille und Widerstand. O daß der Mensch dieses Geheimnis, dessen die Erde voll ist bis in ihre kleinsten Dinge, demütiger empfinge und ernster trüge, ertrüge und fühlte, wie schrecklich schwer es ist, statt es leicht zu nehmen. 

Daß er ehrfürchtig wäre gegen seine Fruchtbarkeit, die nur eine ist, ob sie geistig oder körperlich scheint; denn auch das geistige Schaffen stammt von dem physischen her, ist eines Wesens mit ihm und nur wie eine leisere, entzücktere und ewigere Wiederholung leiblicher Wollust. «Der Gedanke, Schöpfer zu sein, zu zeugen, zu bilden», ist nichts ohne seine fortwährende, große Bestätigung und Verwirklichung in der Welt, nichts ohne die tausendfältige Zustimmung aus Dingen und Tieren, - und sein Genuß ist nur deshalb so unbeschreiblich schön und reich, weil er voll ererbter Erinnerungen ist aus Zeugen und Gebären von Millionen. In einem Schöpfergedanken leben tausend vergessene Liebesnächte auf und erfüllen ihn mit Hoheit und Höhe. Und die in den Nächten zusammenkommen und verflochten sind in wiegender Wollust, tun eine ernste Arbeit und sammeln Süßigkeiten an, Tiefe und Kraft für das Lied irgendeines kommenden Dichters, der aufstehn wird, um unsägliche Wonnen zu sagen. Und rufen die Zukunft herbei; und wenn sie auch irren und sich blindlings umfassen, die Zukunft kommt doch, ein neuer Mensch erhebt sich, und auf dem Grunde des Zufalls, der hier vollzogen scheint, erwacht das Gesetz, mit dem ein widerstandsfähiger kräftiger Samen sich durchdrängt zu der Eizelle, die ihm offen entgegenzieht. Lassen Sie sich nicht beirren durch die Oberfläche; in den Tiefen wird alles Gesetz. Und die das Geheimnis falsch und schlecht leben (und es sind sehr viele), verlieren es nur für sich selbst und geben es doch weiter wie einen verschlossenen Brief, ohne es zu wissen. Und werden Sie nicht irre an der Vielheit der Namen und an der Kompliziertheit der Fälle. Vielleicht ist über allem eine große Mutterschaft, als gemeinsame Sehnsucht. 

Die Schönheit der Jungfrau, eines Wesens, «das (wie Sie so schön sagen) noch nichts geleistet hat», ist Mutterschaft, die sich ahnt und vorbereitet, ängstigt und sehnt. Und der Mutter Schönheit ist dienende Mutterschaft, und in der Greisin ist eine große Erinnerung. Und auch im Mann ist Mutterschaft, scheint mir, leibliche und geistige; sein Zeugen ist auch eine Art Gebären, und Gebären ist es, wenn er schafft aus innerster Fülle. Und vielleicht sind die Geschlechter verwandter, als man meint, und die große Erneuerung der Welt wird vielleicht darin bestehen, daß Mann und Mädchen sich, befreit von allen Irrgefühlen und Unlüsten, nicht als Gegensätze suchen werden, sondern als Geschwister und Nachbarn und sich zusammentun werden als Menschen, um einfach, ernst und geduldig das schwere Geschlecht, das ihnen auferlegt ist, gemeinsam zu tragen. Aber alles, was vielleicht einmal vielen möglich sein wird, kann der Einsame jetzt schon vorbereiten und bauen mit seinen Händen, die weniger irren. 

Darum, lieber Herr, lieben Sie Ihre Einsamkeit, und tragen Sie den Schmerz, den sie Ihnen verursacht, mit schön klingender Klage. Denn die Ihnen nahe sind, sind fern, sagen Sie, und das zeigt, daß es anfängt, weit um Sie zu werden. Und wenn Ihre Nähe fern ist, dann ist Ihre Weite schon unter den Sternen und sehr groß; freuen Sie sich Ihres Wachstums, in das Sie ja niemanden mitnehmen können, und seien Sie gut gegen die, welche zurückbleiben, und seien Sie sicher und ruhig vor ihnen und quälen Sie sie nicht mit Ihren Zweifeln und erschrecken Sie sie nicht mit Ihrer Zuversicht oder Freude, die sie nicht begreifen könnten.

Suchen Sie sich mit ihnen irgendeine schlichte und treue Gemeinsamkeit, die sich nicht notwendig verändern muß, wenn Sie selbst anders und anders werden; lieben Sie an ihnen das Leben in einer fremden Form und haben Sie Nachsicht gegen die alternden Menschen, die das Alleinsein fürchten, zu dem Sie Vertrauen haben. Vermeiden Sie, jenem Drama, das zwischen Eltern und Kindern immer ausgespannt ist, Stoff zuzuführen; es verbraucht viel Kraft der Kinder und zehrt die Liebe der Alten auf, die wirkt und wärmt, auch wenn sie nicht begreift. Verlangen Sie keinen Rat von ihnen und rechnen Sie mit keinem Verstehen; aber glauben Sie an eine Liebe, die für Sie aufbewahrt wird wie eine Erbschaft, und vertrauen Sie, daß in dieser Liebe eine Kraft ist und ein Segen, aus dem Sie nicht herausgehen müssen, um ganz weit zu gehen!

Es ist gut, daß Sie zunächst in einen Beruf münden, der Sie selbständig macht und Sie vollkommen auf sich selbst stellt in jedem Sinne. Warten Sie geduldig ab, ob Ihr innerstes Leben sich beschränkt fühlt durch die Form dieses Berufes. Ich halte ihn für sehr schwer und für sehr anspruchsvoll, da er von großen Konventionen belastet ist und einer persönlichen Auffassung seiner Aufgaben fast keinen Raum läßt. Aber Ihre Einsamkeit wird Ihnen auch inmitten sehr fremder Verhältnisse Halt und Heimat sein, und aus ihr heraus werden Sie alle Ihre Wege finden. Alle meine Wünsche sind bereit, Sie zu begleiten, und mein Vertrauen ist mit Ihnen,

Ihr:

Rainer Maria Rilke

....  Franz Xaver Kappus [W]


Auch eine Geschenkidee - Hörbücher.

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Briefe an einen jungen Dichter [Hörbuch-Download] bei AMAZON


RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Rilke Faksimile, Herbst.

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Herbst - Gedichte
Faksimile

Rilke handgeschriebenes Gedicht "Herbst"


Herbst 


Die Blätter fallen, fallen wie von weit, 
als welkten in den Himmeln ferne Gärten; 
sie fallen mit verneinender Gebärde. 

Und in den Nächten fällt die schwere Erde 
aus allen Sternen in die Einsamkeit. 

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. 
Und sieh dir andre an: es ist in allen. 

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen 
unendlich sanft in seinen Händen hält. 

Aus: Das Buch der Bilder


Hebst, die Blätter fallen ....
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Rainer Maria Rilke . 1875-1926
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Zum Fest ....

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Rainer Maria Rilke
Gedichte
& Kunst

Der Rosengarten, Charles Julian Theodore Tharp


Zum Fest


Heut sind wir endlich allein, und von Gästen 
droht uns ganz sicher heut keine Gefahr. 
Schmück dich, mein Kind, zu der Liebe Festen, 
rote Rosen stehn dir am besten, 
rote Rosen steck dir ins Haar.

Und das Kleid nimm aus Großmutters Tagen, 
mit den Ärmeln luftig gepufft. 
Einmal kamst du mirs selber sagen: 
Großmutter hats bei der Hochzeit getragen. -
Und in den Falten liegt noch der Duft.


Rainer Maria Rilke

Gedicht aus: Rainer Maria Rilke Sämtliche Werke. 
Ernst Zinn - Insel Verlag Frankfurt a. Main 1955
(Band 3 S. 445)

.... Rilkes sämtliche Werke, Werksausgabe, in 7 Bänden beim Suhrkamp-Insel Verlag.

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Du darfst nicht warten ....

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Rainer Maria Rilke
Gedicht
Illustrationen von Heinrich Vogeler

Rilkes Gedicht illustriert von Heinrich Vogeler.



Heinrich Vogeler

Du darfst nicht warten, bis Gott zu dir geht

Du darfst nicht warten, bis Gott zu dir geht
und sagt: Ich bin.
      Ein Gott, der seine Stärke eingesteht,
hat keinen Sinn.
      Da musst du wissen, dass dich Gott durchweht
seit Anbeginn,
      und wenn dein Herz dir glüht und nichts verrät,
dann schafft er drin.

Rainer Maria Rilke
18.5.1898, Viareggio


....  Buch:  Rainer Maria Rilke über Heinrich Vogeler bei AMAZON

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INFO - Gedichte von Frauen aus Osteuropa bei faustkultur ....

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INFO
faustkultur : Gedichte von Frauen aus Osteuropa



www.faust-kultur.de
»faustkultur« ....
Gedichte von Frauen aus Osteuropa
»Handverlesen«
VOM 1. BIS 25. DEZEMBER – JEDEN TAG EIN GEDICHT - zum hören!

Link zur Seite von faustkultur

Link zum YouTube Video - "Selbstbildnis" von Radmila Lazic

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Motto

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Motto



Motto


Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge und keine Heimat haben in der Zeit. Und das sind Wünsche: leise Dialoge täglicher Stunden mit der Ewigkeit. 
Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern die einsamste Stunde steigt, die, anders lächelnd als die andern Schwestern, dem Ewigen entgegenschweigt.


Rainer Maria Rilke 
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Soll ich die Städte rühmen

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Gedichte

Paris
Soll ich die Städte rühmen

Soll ich die Städte rühmen, die überlebenden
(die ich anstaunte) großen Sternbilder der Erde.
Denn nur zum Rühmen noch steht mir das Herz, so gewaltig
weiß die Welt. Und selbst meine Klage
wird mir zur Preisung dicht vor dem stöhnenden Herzen.
Sage mir keiner, dass ich die Gegenwart nicht
liebe; ich schwinge in ihr; sie trägt mich, sie giebt mir
diesen geräumigen Tag, den uralten Werktag
dass ich ihn brauche, und wirft in gewährender Großmut
über mein Dasein niegewesene Nächte.
Ihre Hand ist stark über mir und wenn sie im Schicksal
unten mich hielte, vertaucht, ich müsste versuchen
unten zu atmen. Auch bei dem leisesten Auftrag
säng ich sie gerne. Doch vermut ich, sie will nur,
dass ich vibriere wie sie. Einst tönte der Dichter
über die Feldschlacht hinaus; was will eine Stimme
neben dem neuen Gedröhn der metallenen Handlung
drin diese Zeit sich verringt mit anstürmender Zukunft.
Auch bedarf sie des Anrufes kaum, ihr eigener Schlachtlärm
übertönt sich zum Lied. So lasst mich solange
vor Vergehendem stehn; anklagend nicht, aber
noch einmal bewundernd. Und wo mich eines
das mir vor Augen versinkt, etwas zur Klage bewegt
sei es ein Vorwurf für euch. Was sollen jüngere Völker
nicht fortstürmen von dem was der morschen oft
ruhmloser Abbruch begrub. Sehet, es wäre
arg um das Große bestellt, wenn es irgend der Schonung
bedürfte. Wem die Paläste oder der Gärten
Kühnheit nicht mehr, wem das Verhaltene
in den Bildern oder der Statuen ewiges Dastehn
nicht mehr die Seele erschreckt und verwandelt, der gehe
diesem hinaus und tue sein Tagwerk; wo anders
lauert das Große auf ihn und wird ihn wo anders
anfalln, dass er sich wehrt.

Rainer Maria Rilke
Ende Januar 1912, Duino
Gedichte 1906 bis 1926.
Aus: Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte
aus den mittleren und späten Jahren.


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