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Channel: RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Rainer Maria Rilke



Michelangelo Buonarroti

oft nur Michelangelo
vollständiger Name Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni;
* 6. März 1475 in Caprese, Toskana;
† 18. Februar 1564 in Rom, war ein italienischer Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter.
Er gilt als einer der bedeutendsten Künstler der italienischen Hochrenaissance und weit darüber hinaus.


Michelangelo-Denkmal in Florenz

Einige seiner Werke:


Pieta Petersdom


David


Die Erschaffung Adams Sixtinische Kapelle


Decke der Sixtinische Kapelle

Gedichte und Briefe Michelangelos

Neben dem bildnerischen Werk entstanden eine Reihe von Sonetten, die vor allem seiner langjährigen Freundin Vittoria Colonna und seinem Freund Tommaso de’ Cavalierigewidmet sind, sowie Madrigale und andere Gedichte.

Ich Michelangelo
– Briefe, Dichtungen und Gespräche in einer Auswahl. Herausgegeben von Fritz Erpel im Henschelverlag Berlin, 4. Auflage 1966

R. A. Guardini: Michelangelo. Gedichte und Briefe. In: Project Gutenberg.

Michelangelo Buonarroti:
Liebesgedichte, Italienisch und Deutsch. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007.
ISBN 978-3-458-34944-0
Zitat

Du weißt, Herr, dass ich weiß, wie sehr du weißt,
dass ich, um dich zu fühlen, dich erreiche,
und weißt, ich weiß, du weißt, ich bin der Gleiche:
was ists, das uns im Gruße zögern heißt?
Ist wahr die Hoffnung, die du mir gebracht,
und wahr der Wunsch und sicher, dass er gelte,
so bricht die Wand, die zwischen uns gestellte,
verhehltes Wehe hat nun doppelt Macht.
Wenn ich an dir nur liebe, was auch du
am meisten an dir liebst, Herz, zürne nicht.
Das sind die Geister, die sich so umwerben.
Was ich begehr in deinem Angesicht,
dem sehn die Menschen unverständig zu,
und wer es wissen will, der muß erst sterben.

Sonett an Tommaso de’ Cavalieri.
Übersetzung: Rainer Maria Rilke


Dichtungen des Michelangelo,
Übersetzung
Rainer Maria Rilke.


Das Buch beginnt:

Auf die „Nacht" des Buonarroti

Von Giovanni Strozzi

Die Nacht, die du hier siehst, im Gleichgewicht
des schönen Schlafes, bildete im Stein
ein Engel. Schlaf heißt ihr Lebendigsein.
Wenn du’s nicht glaubst, so weck sie auf: sie spricht.

Antwort des Buonarroti
Schlaf ist mir lieb, doch über alles preise
ich, Stein zu sein. Währt Schande und Zerstören,
nenn ich es Glück: nicht sehen und nicht hören.

Drum wage nicht zu wecken. Ach! Sprich leise.

....

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung: 
Die Texte von Rainer Maria Rilke
werden nicht im Format der neuen deutschen Rechtschreibung wiedergegeben,
sondern im Originalformat von Rainer Maria Rilke.
Dieser Blog folgt dem Originaltext.

RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Aus: Dichtungen des Michelangelo, Übersetzung Rainer Maria Rilke.

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Rainer Maria Rilke



Dichtungen des Michelangelo.


~. Michelangelo .~
Übersetzung Rainer Maria Rilke:


So wie, indem man abnimmt, langsam nur
innen im harten Berggestein sich findet
ein Niederschlag lebendiger Figur,
der mehr erwächst, je mehr der Stein verschwindet,
so ist von manchem guten Tun die Spur,
darin die Seele bebend sich erwiese,
versteckt durch diese Oberfläche, diese
des eignen Fleisches steinige Natur.
Du kannst allein aus meinen Außenseiten
dieses befrein, wozu aus mir in mir
nicht Wille ist, noch Kraft, es zu bestreiten.


David, Skulptur von Michelangelo.


Aus: Dichtungen des Michelangelo, Übersetzung Rainer Maria Rilke.


Zitat Rainer Maria Rilke:

Lieben Ist . . . .
ein erhabener Anlaß für den einzelnen, zu reifen,
in sich etwas zu werden, Welt zu werden für sich um eines anderen willen,
es ist ein großer unbescheidener Anspruch an ihn,
etwas, was ihn auserwählt und zu Weitem beruft. 

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung: 
Die Texte von Rainer Maria Rilke
werden nicht im Format der neuen deutschen Rechtschreibung wiedergegeben,
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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Aus: Dichtungen des Michelangelo, Übersetzung Rainer Maria Rilke.

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Dichtungen des Michelangelo,


~. Michelangelo .~
Michelangelo Buonarroti. 

Übersetzung Rainer Maria Rilke.

In vielen Jahren sucht, in viel Mißlingen,
der Meister, bis er in dem Wurf, der gilt,
lebendiges Bild,
am Tode nah, aus festem Fels erzwang.        ,
Zu hohen neuen Dingen
gelangt man spät und bleibt dann nicht mehr lang.
So ähnlich drang
Natur, viel irrend, durch Gesichter her,
und hat sie endlich Äußerstes erreicht
in deinem göttlichen, so ist sie alt und soll dahin.
Weshalb die Furcht, die schwer
je von der Schönheit weicht,
dem Sehnen dient als seltsamste Ernährerin.
In deinem Anschaun bin        '
ich wortlos, was mehr nütze oder schade:
Weitende oder des Ergötzens Gnade.


Selige, die ihr euch im Himmel freut
der Tränen, die die Erde nicht vergütet,
wird euch auch dort der Liebe Krieg erneut?
Seid ihr durch euren Tod davor behütet?
Die unsre ewige Ruh, aus aller Zeit
hinweggerückt, ist ganz befreit
von Liebesneid und ängstlichem Beklagen.
So muß ich, Lebender, zu unrecht, seht,
liebend und dienend
solche Schmerzen tragen.
Denn wenn der Himmel Liebende versteht,
die Erde aber undankt dem, der jetzt
die Liebe leistet: wozu bin ich da?
Um viel zu leben? Wie mich das entsetzt:
Wenig ist schon zuviel, geht einem nur sein Dienen
wirklich nah.



Pieta, Skulptur Michelangelo

Aus: Dichtungen des Michelangelo, Übersetzung Rainer Maria Rilke.


Zitat Rainer Maria Rilke:
Natur sorgt gut: 
zu solcher Grausamkeit

wußte sie gleiche Schönheit zu erfinden;
sein Gegenteil weiß jedes abzuflachen.

So kann dein Angesicht mein ganzes Leid
mit ein klein wenig Güte überwinden
und es mir leicht, mich selber selig machen.

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung: 
Die Texte von Rainer Maria Rilke
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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Gedichte über Natur

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Rainer Maria Rilke



Gustav Klimt 
Mohnwiese, Baumgarten bei Wien.


Natur ist glücklich…

Natur ist glücklich. Doch in uns begegnen
sich zuviel Kräfte, die sich wirr bestreiten:
wer hat ein Frühjahr innen zu bereiten?
Wer weiß zu scheinen? Wer vermag zu regnen?

Wem geht ein Wind durchs Herz, unwidersprechlich?
Wer faßt in sich der Vogelflüge Raum?
Wer ist zugleich so biegsam und gebrechlich
wie jeder Zweig an einem jeden Baum?

Wer stürzt wie Wasser über seine Neigung
ins unbekannte Glück so rein, so reg?
Und wer nimmt still und ohne Stolz die Steigung
und hält sich oben wie ein Wiesenweg?


Rainer Maria Rilke 


Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Personen um und mit Rainer Maria Rilke

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Franzisca Stoecklin


Franzisca Stoecklin 
* 11. September 1894 in Basel,
† 1. September 1931 in Basel, war eine deutsche Lyrikerin und Künstlerin.

Kurzbio:
Franzisca Stoecklin war die Tochter des Basler Kaufmanns Johann Niklaus Stoecklin (1859–1923) und dessen Frau Genoveva Fanny Stoecklin-Müller (1859–1939). 

Nach dem Besuch der Allgemeinen Gewerbeschule machte sie sich 1913 selbständig und begann ein künstlerisches Bohèmeleben. 

Im folgenden Jahr reiste sie mit ihrem Bruder Niklaus und einer Freundin nach München, wo sie unter anderen Karl Wolfskehl, Johannes R. Becher, Hugo Ball und Emmy Hennings kennenlernte. 

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte sie in die Schweiz zurück.
1920 heiratete sie Harry Betz, einen Buchhandelsgehilfen aus Zürich. 
1928 erfolgte die Scheidung. Nach der Trennung zog sie, schwer herzleidend, in das Tessin, wo sie im Kreis um das Ehepaar Ball-Hennings verkehrte 
und von Rainer Maria Rilke literarisch gefördert wurde

1931 starb sie nach einjährigem Aufenthalt im St. Claraspital in Basel.

1920 hatte sie einen ersten Gedichtband veröffentlicht. Es folgten zwei Bände mit lyrischer Prosa und 1925 ein weiterer Gedichtband Die singende Muschel. 

Die Themen ihrer Lyrik sind Traum, Liebe, Tod und Natur, wobei im ersten Band die Liebeslyrik dominiert, während im zweiten Band das Thema Tod in den Vordergrund tritt. 

Neben ihrer dichterischen Arbeit war sie Malerin, Lithographin, Holzschneiderin und Stickerin.

Andenken
von Franzisca Stoecklin.

Wenn der Abend so wunderbar blau und dunkel
In den Bäumen hängt,
Der runde Mond fern und golden über der Erde schwebt,
Bist du mir nah.
Deine schmalen Hände behüten mit inniger Sorgfalt
Die Reliquien unserer Liebe,
Zarte Gebilde süßer Erinnerungen.
Leise öffnet sich das Fenster.
Meine Augen folgen den Sternen,
Aber unfaßbar ist alle Ewigkeit,
Angefüllt mit Schauer und den Fragen nach Verstorbenen.
Dem stillen Weinen ungeborener Kindlein.
Von Unendlichkeit verwirrt,
Sinke ich an das braune Kreuz des Fensters.
Leise bete ich deinen Namen.
Ich weiß dich im einsamen Zimmer,
Träumend bei einer Kerze.
Um deinen Mund ein todnahes Lächeln.

Francisca Stoecklin

Einer ihrer Brüder war der Maler Niklaus Stöcklin.


Rilke Zeichnung von Niklaus Stoecklin 1920

Niklaus Stoecklin 
* 19. April 1896 in Basel
† 31. Dezember 1982 in Basel
war ein Schweizer Maler und Grafiker.

Stoecklin gilt als Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit und des Magischen Realismus sowie als bedeutender Plakatgestalter.


Selbstportrait, Niklas Stoecklin, Neue Sachlichkeit

Kurzbio:
Er wuchs als Sohn eines Kaufmanns in Basel auf und lernte bei seinem Onkel Heinrich Müller das Handwerk des Kunstmalers. 
Über Jahrzehnte widmete sich Niklas Stoecklin auch der Plakatgestaltung. 
Durch seine öffentlichen Werke, unter anderem das Wandbild über dem Aushang der Eheverkündigungen beim Basler Münsterplatz (1920), und durch seinen Einsatz als Laternenmaler für die Basler Fasnacht wurde er zur bekannten, „typisch baslerischen“ Figur.

Niklaus Stoecklins Werk reicht vom Entwurf einer Briefmarke bis zu Wandbildern. Neben Grafik und Malerei umfasst es auch Zeichnungen, Tapisserien, Glasmalereien und insbesondere Plakate. 

Er ist Bruder der Lyrikerin Franziska Stoecklin.

Beeinflusst durch die spätgotische Malerei des Oberrheins, der sienes,
Renaissance und des Expressionismus gilt Niklas Stoecklin als Hauptvertreter 
der Neuen Sachlichkeit und des Magischen Realismus in der Schweiz. 

Seine Werke befinden sich hauptsächlich in den Museen von Basel, Winterthur und Zürich. 1958 Basler Kunstpreis.

Im Jahr 1925 war er einziger Schweizer Vertreter in Gustav Friedrich Hartlaubs Ausstellung Neue Sachlichkeit in der Kunsthalle Mannheim.


Bildende Künstler der Neuen Sachlichkeit:

Alo Altripp
Robert Angerhofer
Christian Arnold
Aimé Barraud
François Barraud
Albert Birkle
Herbert Böttger
Jakob Bräckle
Max Brüning
Heinrich Maria Davringhausen
Adolf Dietrich
Erna Dinklage
Rudolf Dischinger
Otto Dix
Dodo Wolff
August Wilhelm Dressler
Adolf Erbslöh
Conrad Felixmüller
Arvid Fougstedt
Ernst Fritsch
Otto Griebel
Carl Grossberg
George Grosz
Eduard Gubler
Elsa Haensgen-Dingkuhn
Karl Hauenherm
Wilhelm Heise
Christian Hess
Gussy Hippold-Ahnert
Karl Hubbuch
Hella Jacobs
Grethe Jürgens
Paul Kälberer
Alexander Kanoldt
Franz Klemmer
Hans Kraft
Heinrich Kralik von Meyrswalden (Maler)
Bernhard Kretzschmar
Lotte Laserstein
Konrad Adolf Lattner
Franz Lenk
Elfriede Lohse-Wächtler
Karl Friedrich Lippmann
Léo Maillet
Jeanne Mammen
Josef Mangold
Carlo Mense
Hans Mertens
Hanna Nagel
Valentin Nagel
Kay Heinrich Nebel
Otto Nückel
Felix Nussbaum
Gerta Overbeck
Curt Querner
Franz Radziwill
Anton Räderscheidt
Anita Rée
Albert Renger-Patzsch
Siegfried Rischar
Karl Rössing
August Sander
Christian Schad
Otto Rudolf Schatz
Harald Schaub
Rudolf Schlichter
Wilhelm Schmid
Wilhelm Schnarrenberger
Georg Scholz
Werner Schramm
Liselotte Schramm-Heckmann
Georg Schrimpf
Walter Schulz-Matan
Franz Sedlacek
Franz Sikora
Niklaus Stoecklin
Hermann Tiebert
Ernst Thoms
Max Unold
Rudolf Wacker
Otto Weber
Josef Wedewer
Erich Wegner
Kurt Weinhold
Ludwig Weninger
Paul Westerfrölke
Gustav Wunderwald

*
Freundschaft

Wie Blumen neigen sich
die hellen Mädchen,
die innigen Gestalten,
liebe Frauen,
in mein Leben.
Und ihrer Freundschaft dank ich
Stunden süßer Seligkeiten,
gemeinsam Trauern,
herben Abschiedsschmerz.
O, daß kein Sturmwind,
daß keine Hand
die schönen Kelche
seelenlos ergreife.
Zu sehr sind sie der Freundin
zartere Liebkosung,
und herzlichstes Verstehn gewöhnt.

Franzisca Stoecklin


"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung: 
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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Siebente Duineser Elegie

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Schloss Duino

Die siebente Elegie

Werbung nicht mehr, nicht Werbung, entwachsene Stimme, 
sei deines Schreies Natur; zwar schrieest du rein wie der Vogel, 
wenn ihn die Jahreszeit aufhebt, die steigende, beinah vergessend, 
dass er ein kümmerndes Tier und nicht nur ein einzelnes Herz sei, 
das sie ins Heitere wirft, in die innigen Himmel. Wie er, so 
würbest du wohl, nicht minder -, dass, noch unsichtbar, 
dich die Freundin erführ, die stille, in der eine Antwort 
langsam erwacht und über dem Hören sich anwärmt, - 
deinem erkühnten Gefühl die erglühte Gefühlin. 


O und der Frühling begriffe -, da ist keine Stelle, 
die nicht trüge den Ton der Verkündigung. Erst jenen kleinen 
fragenden Auflaut, den, mit steigernder Stille, 
weithin umschweigt ein reiner bejahender Tag. 
Dann die Stufen hinan, Ruf-Stufen hinan, zum geträumten 
Tempel der Zukunft -; dann den Triller, Fontäne, 
die zu dem drängenden Strahl schon das Fallen zuvornimmt 
im versprechlichen Spiel.... Und vor sich, den Sommer. 


Nicht nur die Morgen alles des Sommers -, nicht nur 
wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang. 
Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben, 
um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig. 
Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte, 
nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend, 
nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein, 
nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends... 
sondern die Nächte! Sondern die hohen, des Sommers, 
Nächte, sondern die Sterne, die Sterne der Erde. 
O einst tot sein und sie wissen unendlich, 
alle die Sterne: denn wie, wie, wie sie vergessen! 


Siehe, da rief ich die Liebende. Aber nicht sie nur 
käme... Es kämen aus schwächlichen Gräbern 
Mädchen und ständen... Denn wie beschränk ich, 
wie, den gerufenen Ruf? Die Versunkenen suchen 
immer noch Erde. - Ihr Kinder, ein hiesig 
einmal ergriffenes Ding gälte für viele. 
Glaubt nicht, Schicksal sei mehr, als das Dichte der Kindheit; 
wie überholtet ihr oft den Geliebten, atmend, 
atmend nach seligem Lauf, auf nichts zu, ins Freie. 


Hiersein ist herrlich. Ihr wusstet es, Mädchen, ihr auch, 
die ihr scheinbar entbehrtet, versankt -, ihr, in den ärgsten 
Gassen der Städte, Schwärende, oder dem Abfall 
Offene. Denn eine Stunde war jeder, vielleicht nicht 
ganz eine Stunde, ein mit den Maßen der Zeit kaum 
Messliches zwischen zwei Weilen -, da sie ein Dasein 
hatte. Alles. Die Adern voll Dasein. 
Nur, wir vergessen so leicht, was der lachende Nachbar 
uns nicht bestätigt oder beneidet. Sichtbar 
wollen wirs heben, wo doch das sichtbarste Glück uns 
erst zu erkennen sich giebt, wenn wir es innen verwandeln. 


Nirgends, Geliebte, wird Welt sein, als innen. Unser 
Leben geht hin mit Verwandlung. Und immer geringer 
schwindet das Außen. Wo einmal ein dauerndes Haus war, 
schlägt sich erdachtes Gebild vor, quer, zu Erdenklichem 
völlig gehörig, als ständ es noch ganz im Gehirne. 
Weite Speicher der Kraft schafft sich der Zeitgeist, gestaltlos 
wie der spannende Drang, den er aus allem gewinnt. 
Tempel kennt er nicht mehr. Diese, des Herzens, Verschwendung 
sparen wir heimlicher ein. Ja, wo noch eins übersteht, 
ein einst gebetetes Ding, ein gedientes, geknietes -, 
hält es sich, so wie es ist, schon ins Unsichtbare hin. 
Viele gewahrens nicht mehr, doch ohne den Vorteil, 
dass sie's nun innerlich baun, mit Pfeilern und Statuen, größer! 


Jede dumpfe Umkehr der Welt hat solche Enterbte, 
denen das Frühere nicht und noch nicht das Nächste gehört. 
Denn auch das Nächste ist weit für die Menschen. Uns soll 
dies nicht verwirren; es stärke in uns die Bewahrung 
der noch erkannten Gestalt. - Dies stand einmal unter Menschen, 
mitten im Schicksal stands, im vernichtenden, mitten 
im Nichtwissen-Wohin stand es, wie seiend, und bog 
Sterne zu sich aus gesicherten Himmeln. Engel, 
dir noch zeig ich es, da! in deinem Anschaun 
steht es gerettet zuletzt, nun endlich aufrecht. 
Säulen, Pylone, der Sphinx, das strebende Stemmen, 
grau aus vergehender Stadt oder aus fremder, des Doms. 


War es nicht Wunder? O staune, Engel, denn wir sinds, 
wir, o du Großer, erzähls, dass wir solches vermochten, mein Atem 
reicht für die Rühmung nicht aus. So haben wir dennoch 
nicht die Räume versäumt, diese gewährenden, diese 
unseren Räume. (Was müssen sie fürchterlich groß sein, 
da sie Jahrtausende nicht unseres Fühlns überfülln.) 
Aber ein Turm war groß, nicht wahr? O Engel, er war es, - 
groß, auch noch neben dir? Chartres war groß -, und Musik 
reichte noch weiter hinan und überstieg uns. Doch selbst nur 
eine Liebende -, oh, allein am nächtlichen Fenster.... 
reichte sie dir nicht ans Knie -? Glaub nicht, dass ich werbe. 
Engel, und würb ich dich auch! Du kommst nicht. Denn mein 
Anruf ist immer voll Hinweg; wider so starke 
Strömung kannst du nicht schreiten. Wie ein gestreckter 
Arm ist mein Rufen. Und seine zum Greifen 
oben offene Hand bleibt vor dir 
offen, wie Abwehr und Warnung, 
Unfasslicher, weitauf. 


Rainer Maria Rilke

7. und 26.2.1922, Muzot

Aus: Duineser Elegien 
Aus dem Besitz der Fürstin Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe
(1912/1922) 

O Funkenglück

O Funkenglück aus dem Herzfeuerstein
durch den harten Aufblick klingend ausgeschlagen.
Mitten im langen Leiden-hören-sagen
sprühendes Glück aus dem Herzfeuerstein.

Und du darfst wünschen, dass das Leben finge
und die Verzehrung sei, die ihm entfuhr?
Du lebtest längst, als liebtest du die Dinge
in ihrem eingefriedigten Contur.

Rainer Maria Rilke, 1915, 
Gedichte 1906 bis 1926.
(Aus: Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte 
aus den mittleren und späten Jahren.)
Gedichte 1910-1922

[ Rainer Maria Rilke 
   ist ein Dichter der leisen Töne, des stillen Nachdenkens über das Leben.
   Wie kaum ein anderer Dichter findet er Worte für das, was unaussprechlich scheint. ]
"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Gedichte über Natur von Rainer Maria Rilke

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Gustav Klimt
Stiller Weiher im Schlosspark von Kammer



Manchmal geschieht es in tiefer Nacht,
Daß der Wind wie ein Kind erwacht,
Und er kommt die Allee allein
Leise, leise ins Dorf herein.

Und er tastet bis an den Teich,
Und dann horcht er herum:
Und die Häuser sind alle bleich,
Und die Eichen sind stumm ...

Rainer Maria Rilke

Aus: Mir zur Feier«, 1909

Liebhaben von Mensch zu Mensch: 
das ist vielleicht das Schwerste,
was uns aufgegeben ist,
das Äußerste, die letzte Probe und Prüfung,
die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur

Vorbereitung ist. 
"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Aus Dichtungen des Michelangelo, Übersetzung Rainer Maria Rilke

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Dichtungen des Michelangelo


~. Michelangelo .~
Michelangelo Buonarroti. 


Wenn durch belebten Stein die Kunst vermag
ihr Antlitz Tag für Tag
im Gleichen hinzuhalten; sollte nicht
der Himmel erst, da sie von seiner Hand,
wie dies von meiner ist, so viel Bestand
ihr leihn, daß sie (nicht nur für mein Gesicht)
nicht menschlich mehr, als Göttin sich erhielte?
Und doch geht alles hin und währt nur kurz.
Mir scheint, daß ich im "Wichtigsten verspielte,
wenn da ein Stein besteht nach ihrem Sturz.
Wer wird dies rächen? Einzig die Natur.
Denn was sie wirkt, geht mit der Zeit; und nur,
was ihre Kinder wirken, hat hier Dauer.


So weit über mich
machst du mich, Herrin, steigen.
Worte sind mir nicht eigen
dafür, nicht Gedanken; ich bin doch nicht mehr
dasselbe ich.

Da ich denn länger von hier,
wenn du mir Flügel nicht leihst,
nicht mich erschwinge und flieg zu deines
Angesichts Geist,

gib, daß ich bleibe bei dir;
wenn es erhört sich erwies,
daß je ein Sterblicher mit steige ins Paradies.
Darf es nicht sein, o so trenn
mich von der Seele durch Tod.
Daß ich die Seligkeit kenn
wenigstens einmal
in der mit dir entfliehenden.



Aus: Dichtungen des Michelangelo, Übersetzung Rainer Maria Rilke.

Lieben
und wie mag die Liebe dir kommen sein?
Kam sie wie ein Sonnen, ein Blütenschein,
kam sie wie ein Beten? - Erzähle:

Ein Glück löste leuchtend aus Himmeln sich los
und hing mit gefalteten Schwingen gross

an meiner blühenden Seele ....

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Zitat

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Rainer Maria Rilke


Zitat

Wir müssen es aussprechen, daß das Wesen der Schönheit
nicht im Wirken liegt, sondern im Sein.

Es müssten sonst Blumenausstellungen und Parkanlagen schöner sein
als ein wilder Garten, der vor sich hinblüht irgendwo
und von dem keiner weiß.

Aus: 
Rainer Maria Rilke: Von Kunst-Dingen - Kapitel 6 

Über Kunst
Vermutlich Juli/August 1898; ersch. in: Ver sacrum, Wien; I: Jg. I, H. 11, November 1898. II: Jg. II, H. 1, Januar 1899. III: Jg. II, H. 5, Mai 1899


I
Graf Lew Tolstoj hat in seinem letzten vielumfragten Buche ›Was ist Kunst?‹ seiner eigenen Antwort eine lange Reihe von Definitionen aus allen Zeiten vorangestellt. Und von Baumgarten bis Helmholtz, Shaftesbury bis Knight, Cousin bis Sar Peladan ist Raum genug für Extreme und Widersprüche. Weiter .... Link
....
Vor Abschnitt II

Ver Sacrum Belvedere Wien Online.

Ver Sacrum Digi.ub.uni-heidelberg, Digitale Bibliothek [Bände 1898-1903 ]
"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

ROSENMOND ....

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Rosenmond, Monat Juni, der 6. des Jahres, wird deshalb so bezeichnet da die Rosenblüte
im Juni ihren Höhepunkt erreicht. In "Gärtnerkreisen" sprach man früher deshalb vom Juni als dem Rosenmond. Der Juni hatte allerdings früher auch noch andere Bezeichnungen.
Noch eines ist in diesem Monat, die Sommersonnenwende.
Rosen, ja das passt zu Rainer Maria Rilke, nicht zuletzt wegen seines von ihm selbst gewählten Grabspruchs, die Rose ist ein Symbol der Veränderung mit der Blüte als gewordene und Knospe als werdendem Sein. Sie versteckt ihren Innenraum und entfaltet ihre Schönheit langsam sich öffnend nach außen. Die Dornen machen ihre Schönheit zugleich leid voll und "Veränderung" passt eben auch zum Monat Juni, schon wegen der Sommersonnenwende.

Nun zu Rilkes Rosengedichten.
Rosengedichte, keine Blumengedichte wie man vielleicht erwarten würde sonder Gedichte in denen die Rose erwähnt wird oder eine Bedeutung hat.




Ferdinand Hodler
Genfer See mit dem Mont Blanc im Morgenlicht.




Nenn ich dich Aufgang oder Untergang

Nenn ich dich Aufgang oder Untergang?
Denn manchmal bin ich vor dem Morgen bang
und greife scheu nach seiner Rosen Röte -
und ahne eine Angst in seiner Flöte
vor Tagen, welche liedlos sind und lang.

Aber die Abende sind mild und mein,
von meinem Schauen sind sie still beschienen;
in meinem Armen schlafen Wälder ein, -
und ich bin selbst das Klingen über ihnen,
und mit dem Dunkel in den Violinen
verwandt durch all mein Dunkelsein.



Rainer Maria Rilke, 2.2.1898, Berlin

Aus: Mir zur Feier 1900
"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Rosengedichte

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Ferdinand Georg Waldmüller
Österreich


Ferdinand Georg Waldmüller, 
Stillleben mit Rosen


Erste Rosen erwachen

Erste Rosen erwachen,
und ihr Duften ist zag
wie ein leisleises Lachen;
flüchtig mit schwalbenflachen
Flügeln streift es den Tag;

und wohin du langst,
da ist alles noch Angst.

Jeder Schimmer ist scheu,
und kein Klang ist noch zahm,
und die Nacht ist zu neu,
und die Schönheit ist Scham.


Rainer Maria Rilke

9.5.1898, Florenz (San Miniato)




Aus: Mir zur Feier.
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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Rosengedichte

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VINCENT van GOGH


Vincent van Gogh 
Wilde Rosen

Das Rosen-Innere

Wo ist zu diesem Innen 
ein Außen? Auf welches Weh 
legt man solches Linnen ? 
Welche Himmel spiegeln sich drinnen 
in dem Binnensee 
dieser offenen Rosen, 
dieser sorglosen, sieh: 
wie sie lose im Losen 
liegen, als könnte nie 
eine zitternde Hand sie verschütten. 
Sie können sich selber kaum 
halten; viele ließen 
sich überfüllen und fließen 
über von Innenraum 
in die Tage, die immer 
voller und voller sich schließen, 
bis der ganze Sommer ein Zimmer 
wird, ein Zimmer in einem Traum. 


Rainer Maria Rilke

2.8.1907, Paris


Aus: Neue Gedichte, Der neuen Gedichte anderer Teil.
A mon grand Ami Auguste Rodin 
"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung: 
Die Texte von Rainer Maria Rilke
werden nicht im Format der neuen deutschen Rechtschreibung wiedergegeben,
sondern im Originalformat von Rainer Maria Rilke.
Dieser Blog folgt dem Originaltext.

RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Rosengedichte

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Rainer Maria Rilke




Christian Rohlfs-Weiße Rosen

*

Heute will ich dir zu Liebe Rosen fühlen

Heute will ich dir zu Liebe Rosen
fühlen, Rosen fühlen dir zu Liebe,
dir zu Liebe heute lange lange
nicht gefühlte Rosen fühlen: Rosen.

Alle Schalen sind gefüllt; sie liegen
in sich selber, jede hundert Male, -
wie von Talen angefüllte Tale
liegen sie in sich und überwiegen.

So unsäglich wie die Nacht
überwiegen sie den Hingegebnen,
wie die Sterne über Ebnen
überstürzen sie mit Pracht.
Rosennacht, Rosennacht.

Nacht aus Rosen, Nacht aus vielen vielen
hellen Rosen, helle Nacht aus Rosen,
Schlaf der tausend Rosenaugenlider:
heller Rosen-Schlaf, ich bin dein Schläfer.

Heller Schläfer deiner Düfte; tiefer
Schläfer deiner kühlen Innigkeiten.
Wie ich mich dir schwindend überliefer
hast du jetzt mein Wesen zu bestreiten;

sei mein Schicksal aufgelöst
in das unbegreifliche Beruhen,
und der Trieb, sich aufzutuen,
wirke, der sich nirgends stößt.

Rosenraum, geboren in den Rosen,
in den Rosen heimlich auferzogen,
und aus offnen Rosen zugegeben
groß wie Herzraum: dass wir auch nach draußen
fühlen dürfen in dem Raum der Rosen.

Rainer Maria Rilke
Juli 1914, Paris

Aus: Gedichte 1910 - 1922

*


Pinterest, Rosenmauer

Gehst du außen Mauern entlang, kannst du die vielen Rosen ....

Gehst du außen Mauern entlang,
kannst du die vielen Rosen nicht schauen
in dem fremden Gartengang;
aber in deinem tiefen Vertrauen
darfst du sie fühlen wie nahende Frauen.

Sicher schreiten sie zwei zu zwein,
und sie halten sich um die Hüften, -
und die roten singen allein;
und dann fallen mit ihren Düften
leise, leise die weißen ein...


Rainer Maria Rilke
4.5.1898, Florenz (Ripoli)

Aus: Mir zur Feier

*


Rosengedichte im Rosenmonat Juni ]
"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung: 
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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Rosengedichte

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Rainer Maria Rilke




Pierre Auguste Renoir
Rosenhain


Immer den gleichen Pfad

Ich geh jetzt immer den gleichen Pfad: 
am Garten entlang, wo die Rosen grad 
Einem sich vorbereiten; 
aber ich fühle: noch lang, noch lang 
ist das alles nicht mein Empfang, 
und ich muss ohne Dank und Klang 
ihnen vorüberschreiten.

Ich bin nur der, der den Zug beginnt,
dem die Gaben nicht galten;
bis die kommen, die seliger sind,
lichte, stille Gestalten, -
werden sich alle Rosen im Wind
wie rote Fahnen entfalten.


Rainer Maria Rilke

30.4.1898 , Florenz - Torre al Gallo

Aus: Mir zur Feier

Das XXI. Sonett

Singe die Gärten, mein Herz, die du nicht kennst; wie in Glas 
eingegossene Gärten, klar, unerreichbar. 
Wasser und Rosen von Ispahan oder Schiras, 
singe sie selig, preise sie, keinem vergleichbar. 

Zeige, mein Herz, dass du sie niemals entbehrst. 
Dass sie dich meinen, ihre reifenden Feigen. 
Dass du mit ihren, zwischen den blühenden Zweigen 
wie zum Gesicht gesteigerten Lüften verkehrst. 

Meide den Irrtum, dass es Entbehrungen gebe 
für den geschehnen Entschluss, diesen: zu sein! 
Seidener Faden, kamst du hinein ins Gewebe. 

Welchem der Bilder du auch im Innern geeint bist 
(sei es selbst ein Moment aus dem Leben der Pein), 
fühl, dass der ganze, der rühmliche Teppich gemeint ist. 


Rainer Maria Rilke

zwischen dem 17. und 23.2.1922, Chateau de Muzot


Aus: Sonette an Orpheus. Erster Teil.

Rosengedichte im Rosenmonat Juni ]

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

SCHLUSSSTÜCK

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Rainer Maria Rilke


Franz von Stuck



Rainer Maria Rilke
Schlussstück

Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen 
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
  
Rainer Maria Rilke


1900/01

Aus: Das Buch der Bilder. Des zweiten Buches zweiter Teil.
"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Rosengedichte

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Rainer Maria Rilke



Paula Moderson Becker
Die Bildhauerin Clara Rilke Westhoff. 1905


Requiem
Clara Westhoff gewidmet

Seit einer Stunde ist um ein Ding mehr 
auf Erden. Mehr um einen Kranz. 
Vor einer Weile war das leichtes Laub... Ich wands: 
Und jetzt ist dieser Efeu seltsam schwer 
und so von Dunkel voll, als tränke er 
aus meinen Dingen zukünftige Nächte. 
Jetzt graut mir fast vor dieser nächsten Nacht, 
allein mit diesem Kranz, den ich gemacht, 
nicht ahnend, dass da etwas wird, 
wenn sich die Ranken ründen um den Reifen; 
ganz nur bedürftig, dieses zu begreifen: 
dass etwas nichtmehr sein kann. Wie verirrt 
in nie betretene Gedanken, darinnen wunderliche Dinge stehn, 
die ich schon einmal gesehen haben muss... 

.... Flussabwärts treiben die Blumen, welche die 
Kinder gerissen haben im Spiel; aus den offenen 
Fingern fiel eine und eine, bis dass der Strauß nicht 
mehr zu erkennen war. Bis der Rest, den sie nachhaus 
gebracht, gerade gut zum Verbrennen war. Dann 
konnte man ja die ganze Nacht, wenn einen alle 
schlafen meinen, um die gebrochenen Blumen weinen. 

Gretel, von allem Anbeginn 
war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben, 
blond zu sterben. 
Lange schon, eh dir zu leben bestimmt war. 
Darum stellte der Herr eine Schwester vor dich 
und dann einen Bruder, 
damit vor dir wären zwei Nahe, zwei Reine, 
welche das Sterben dir zeigten, 
das deine: 
dein Sterben. 
Deine Geschwister wurden erfunden. 
nur, damit du dich dran gewöhntest, 
und dich an zweien Sterbestunden 
mit der dritten versöhntest, 
die dir seit Jahrtausenden droht. 
Für deinen Tod 
sind Leben erstanden; 
Hände, welche Blüten banden, 
Blicke, welche die Rosen rot 
und die Menschen mächtig empfanden, 
hat man gebildet und wieder vernichtet 
und hat zweimal das Sterben gedichtet
eh es, gegen dich selbst gerichtet, 
aus der verloschenen Bühne trat. 

... Nahte es dir schrecklich, geliebte Gespielin? 
war es dein Feind? 
Hast du dich ihm ans Herz geweint? 
Hat es dich aus den heißen Kissen 
in die flackernde Nacht gerissen, 
in der niemand schlief im ganzen Haus...? 
Wie sah es aus? 
Du musst es wissen. 
Du bist dazu in die Heimat gereist. 
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 
Du weißt 
wie die Mandeln blühn 
und dass Seeen blau sind. 
Viele Dinge, die nur im Gefühle der Frau sind 
welche die erste Liebe erfuhr, - 
weißt du. Dir flüsterte die Natur 
in des Südens spätdämmernden Tagen 
so unendliche Schönheit ein, 
wie sonst nur selige Lippen sie sagen 
seliger Menschen, die zu zwein 
eine Welt haben und eine Stimme - 
leiser hast du das alles gespürt, - 
(o wie hat das unendlich Grimme 
deine unendliche Demut berührt). 
Deine Briefe kamen von Süden, 
warm noch von Sonne, aber verwaist, - 
endlich bist du selbst deinen müden 
bittenden Briefen nachgereist; 
denn du warst nicht gerne im Glanze, 
jede Farbe lag auf dir wie Schuld, 
und du lebtest in Ungeduld, 
denn du wusstest: das ist nicht das Ganze
Leben ist nur ein Teil......... Wovon? 
Leben ist nur ein Ton......... Worin? 
Leben hat Sinn nur, verbunden mit vielen 
Kreisen des weithin wachsenden Raumes, - 
Leben ist so nur der Traum eines Traumes, 
aber Wachsein ist anderswo. 
So ließest du's los. 
Groß ließest du's los. 
Und wir kannten dich klein. 
Dein war so wenig: ein Lächeln, ein kleines, 
ein bisschen melancholisch schon immer, 
sehr sanftes Haar und ein kleines Zimmer, 
das dir seit dem Tode der Schwester weitwar. 
Als ob alles andere nur dein Kleid war 
so scheint es mir jetzt, du stilles Gespiel. 
Aber sehr viel
warst du. Und wir wusstens manchmal, 
wenn du am Abend kamst in den Saal; 
wussten manchmal: jetzt müsste man beten; 
eine Menge ist eingetreten, 
eine Menge, welche dir nachgeht, 
weil du den Weg weißt. 
Und du hast ihn wissen gemusst 
und hast ihn gewusst gestern... 
jüngste der Schwestern. 

Sieh her, 
dieser Kranz ist so schwer. 
Und sie werden ihn auf dich legen, 
diesen schweren Kranz. 
Kanns dein Sarg aushalten? 
Wenn er bricht 
unter dem schwarzen Gewicht, 
kriecht in die Falten 
von deinem Kleid 
Efeu. 
Weit rankt er hinauf, 
rings rankt er dich um, 
und der Saft, der sich in seinen Ranken bewegt, 
regt dich auf mit seinem Geräusch; 
so keusch bist du. 
Aber du bist nichtmehr zu. 
Langgedehnt bist du und laß. 
Deines Leibes Türen sind angelehnt, 
und nass 
tritt der Efeu ein... 
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 
wie Reihn 
von Nonnen, 
die sich führen 
an schwarzem Seil, 
weil es dunkel ist in dir, du Bronnen. 
In den leeren Gängen 
deines Blutes drängen sie zu deinem Herzen; 
wo sonst deine sanften Schmerzen 
sich begegneten mit bleichen 
Freuden und Erinnerungen, - 
wandeln sie, wie im Gebet, 
in das Herz, das, ganz verklungen, 
dunkel, allen offen steht. 

Aber dieser Kranz ist schwer 
mir im Licht, 
nur unter Lebenden, hier bei mir; 
und sein Gewicht 
ist nicht mehr 
wenn ich ihn, zu dir legen werde. 
Die Erde ist voller Gleichgewicht, 
Deine Erde
Er ist schwer von meinen Augen, die daran hängen, 
schwer von den Gängen, 
die ich um ihn getan; 
Ängste aller, welche ihn sahn, 
haften daran. 
Nimm ihn zu dir, denn er ist dein 
seit er ganz fertig ist. 
Nimm ihn von mir. 
Lass mich allein! Er ist wie ein Gast... 
fast schäm ich mich seiner. 
Hast du auch Furcht, Gretel? 

Du kannst nicht mehr gehn? 
Kannst nicht mehr bei mir in der Stube stehn? 
Tun dir die Füße weh? 
So bleib wo jetzt alle beisammen sind, 
man wird ihn dir morgen bringen, mein Kind, 
durch die entlaubte Allee. 
Man wird ihn dir bringen, warte getrost, - 
man bringt dir morgen noch mehr. 
Wenn es auch morgen tobt und tost, 
das schadet den Blumen nicht sehr. 
Man wird sie dir bringen. Du hast das Recht, 
sie sicher zu haben, mein Kind, 
und wenn sie auch morgen schwarz und schlecht 
und lange vergangen sind. 
Sei deshalb nicht bange. Du wirst nicht mehr 
unterscheiden, was steigt oder sinkt; 
die Farben sind zu und die Töne sind leer, 
und du wirst auch gar nicht mehr wissen, wer 
dir alle die Blumen bringt. 

Jetzt weißt du das Andre, das uns verstößt, 
so oft wir's im Dunkel erfasst; 
von dem, was du sehntest, bist du erlöst 
zu etwas, was du hast
Unter uns warst du von kleiner Gestalt, 
vielleicht bist du jetzt ein erwachsener Wald 
mit Winden und Stimmen im Laub. - 
Glaub mir, Gespiel, dir geschah nicht Gewalt: 
Dein Tod war schon alt, 
alt dein Leben begann; 
drum griff er es an, 
damit es ihn nicht überlebte.

........................ 
Schwebte etwas um mich? 
Trat Nachtwind herein? 
Ich bebte nicht. 
Ich bin stark und allein. - 
Was hab ich heute geschafft? 
....Efeulaub holt ich am Abend und wands 
und bog es zusammen, bis es ganz gehorchte. 
Noch glänzt es mit schwarzem Glanz. 
Und meine Kraft 
kreist in dem Kranz. 


Rainer Maria Rilke

20.11.1900, Berlin-Schmargendorf


Aus: Das Buch der Bilder.
Des zweiten Buches zweiter Teil.


Clara Rilke Westhoff
Bildhauerin und Malerin  1878 - 1954 ( Link )


"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung: 
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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Rosengedichte

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Rainer Maria Rilke




Paula Moderson-Becker
Selbstbildnis vor grünem Hintergrund mit blauer Iris, um 1905


Der Sänger singt vor einem Fürstenkind

Dem Andenken von Paula Becker-Modersohn

Du blasses Kind, an jedem Abend soll 
der Sänger dunkel stehn bei deinen Dingen 
und soll dir Sagen, die im Blute klingen, 
über die Brücke seiner Stimme bringen 
und eine Harfe, seiner Hände voll. 

Nicht aus der Zeit ist, was er dir erzählt, 
gehoben ist es wie aus Wandgeweben; 
solche Gestalten hat es nie gegeben, - 
und Niegewesenes nennt er das Leben. 
Und heute hat er diesen Sang erwählt: 

Du blondes Kind von Fürsten und aus Frauen, 
die einsam warteten im weißen Saal, - 
fast alle waren bang, dich aufzubauen, 
um aus den Bildern einst auf dich zu schauen: 
auf deine Augen mit den ernsten Brauen, 
auf deine Hände, hell und schmal. 

Du hast von ihnen Perlen und Türkisen, 
von diesen Frauen, die in Bildern stehn 
als stünden sie allein in Abendwiesen, - 
du hast von ihnen Perlen und Türkisen 
und Ringe mit verdunkelten Devisen 
und Seiden, welche welke Düfte wehn. 

Du trägst die Gemmen ihrer Gürtelbänder 
ans hohe Fenster in den Glanz der Stunden, 
und in die Seide sanfter Brautgewänder 
sind deine kleinen Bücher eingebunden, 
und drinnen hast du, mächtig über Länder, 
ganz groß geschrieben und mit reichen, runden 
Buchstaben deinen Namen vorgefunden. 

Und alles ist, als wär es schon geschehn. 

Sie haben so, als ob du nicht mehr kämst, 
an alle Becher ihren Mund gesetzt, 
zu allen Freuden ihr Gefühl gehetzt 
und keinem Leide leidlos zugesehn; 
so dass du jetzt 
stehst und dich schämst. 
... Du blasses Kind, dein Leben ist auch eines, - 
der Sänger kommt dir sagen, dass du bist. 
Und dass du mehr bist als ein Traum des Haines, 
mehr als die Seligkeit des Sonnenscheines, 
den mancher graue Tag vergisst. 
Dein Leben ist so unaussprechlich Deines, 
weil es von vielen überladen ist. 

Empfindest du, wie die Vergangenheiten 
leicht werden, wenn du eine Weile lebst, 
wie sie dich sanft auf Wunder vorbereiten, 
jedes Gefühl mit Bildern dir begleiten, - 
und nur ein Zeichen scheinen ganze Zeiten 
für eine Geste, die du schön erhebst. - 

Das ist der Sinn von allem, was einst war, 
dass es nicht bleibt mit seiner ganzen Schwere, 
dass es zu unserm Wesen wiederkehre, 
in uns verwoben, tief und wunderbar: 

So waren diese Frauen elfenbeinern, 
von vielen Rosen rötlich angeschienen, 
so dunkelten die müden Königsmienen, 
so wurden fahle Fürstenmunde steinern 
und unbewegt von Waisen und von Weinern, 
so klangen Knaben an wie Violinen 
und starben für der Frauen schweres Haar; 
so gingen Jungfraun der Madonna dienen, 
denen die Welt verworren war. 
So wurden Lauten laut und Mandolinen, 
in die ein Unbekannter größer griff, - 
in warmen Samt verlief der Dolche Schliff, - 
Schicksale bauten sich aus Glück und Glauben, 
Abschiede schluchzten auf in Abendlauben, - 
und über hundert schwarzen Eisenhauben 
schwankte die Feldschlacht wie ein Schiff. 
So wurden Städte langsam groß und fielen 
in sich zurück wie Wellen eines Meeres, 
so drängte sich zu hochbelohnten Zielen 
die rasche Vogelkraft des Eisenspeeres, 
so schmückten Kinder sich zu Gartenspielen, - 
und so geschah Unwichtiges und Schweres, 
nur, um für dieses tägliche Erleben 
dir tausend große Gleichnisse zu geben, 
an denen du gewaltig wachsen kannst. 

Vergangenheiten sind dir eingepflanzt, 
um sich aus dir, wie Gärten, zu erheben. 

Du blasses Kind, du machst den Sänger reich 
mit deinem Schicksal, das sich singen lässt: 
so spiegelt sich ein großes Gartenfest 
mit vielen Lichtern im erstaunten Teich. 
Im dunklen Dichter wiederholt sich still 
ein jedes Ding: ein Stern, ein Haus, ein Wald. 
Und viele Dinge, die er feiern will, 
umstehen deine rührende Gestalt. 


Rainer Maria Rilke

3.10.1900, Worpswede

Aus: Das Buch der Bilder. Des zweiten Buches erster Teil.


Warum Rosengedichte, siehe:

Dass etwas schwer ist, muss ein Grund mehr sein, es zu tun.


"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926

Rosengedichte

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Schau, unsre Tage sind so eng

Schau, unsre Tage sind so eng
und bang das Nachtgemach;
wir langen alle ungelenk
den roten Rosen nach.

Du musst uns milde sein, Marie,
wir blühn aus deinem Blut,
und du allein kannst wissen, wie
so weh die Sehnsucht tut;

du hast ja dieses Mädchenweh
der Seele selbst erkannt:
sie fühlt sich an wie Weihnachtsschnee,
und steht doch ganz in Brand...



Rainer Maria Rilke

5.5.1898, Florenz (Cascine)

Aus: Mir zur Feier

Rosengedichte, siehe hier:
Rosengedichte im Rosenmonat Juni ] !
"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!" 

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La Rose.


Der Ast vom Baume Gott

Der Ast vom Baume Gott, der über Italien reicht, 
hat schon geblüht. 
Er hätte vielleicht 
sich schon gerne, mit Früchten gefüllt, verfrüht, 
doch er wurde mitten im Blühen müd, 
und er wird keine Früchte haben. 

Nur der Frühling Gottes war dort, 
nur sein Sohn, das Wort, 
vollendete sich. 
Es wendete sich 
alle Kraft zu dem strahlenden Knaben. 
Alle kamen mit Gaben 
zu ihm; 
alle sangen wie Cherubim 
seinen Preis. 

Und er duftete leis 
als Rose der Rosen
Er war ein Kreis 
um die Heimatlosen. 
Er ging in Mänteln und Metamorphosen 
durch alle steigenden Stimmen der Zeit. 



Rainer Maria Rilke

26.9.1899, Berlin-Schmargendorf

Aus: Das Stundenbuch. Gelegt in die Hände von Lou.
Buch vom Mönchischen Leben.

Der Schutzengel

Du bist der Vogel, dessen Flügel kamen, 
wenn ich erwachte in der Nacht und rief. 
Nur mit den Armen rief ich, denn dein Namen 
ist wie ein Abgrund, tausend Nächte tief. 
Du bist der Schatten, drin ich still entschlief, 
und jeden Traum ersinnt in mir dein Samen, - 
du bist das Bild, ich aber bin der Rahmen, 
der dich ergänzt in glänzendem Relief. 

Wie nenn ich dich? Sieh, meine Lippen lahmen. 
Du bist der Anfang, der sich groß ergießt, 
ich bin das langsame und bange Amen, 
das deine Schönheit scheu beschließt. 

Du hast mich oft aus dunklem Ruhn gerissen, 
wenn mir das Schlafen wie ein Grab erschien 
und wie Verlorengehen und Entfliehn, - 
da hobst du mich aus Herzensfinsternissen 
und wolltest mich auf allen Türmen hissen 
wie Scharlachfahnen und wie Draperien. 

Du: der von Wundern redet wie vom Wissen 
und von den Menschen wie von Melodien 
und von den Rosen: von Ereignissen, 
die flammend sich in deinem Blick vollziehn, - 
du Seliger, wann nennst du einmal Ihn, 
aus dessen siebentem und letztem Tage 
noch immer Glanz auf deinem Flügelschlage 
verloren liegt....
Befiehlst du, dass ich frage? 



Rainer Maria Rilke
24.7.1899, Berlin-Schmargendorf

Aus: Das Buch der Bilder. Des ersten Buches erster Teil.

Rosengedichte, siehe hier:
Rosengedichte im Rosenmonat Juni ] !
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Claude Monet
Rosenbogen



O wo ist der, der aus Besitz und Zeit

O wo ist der, der aus Besitz und Zeit 
zu seiner großen Armut so erstarkte, 
dass er die Kleider abtat auf dem Markte 
und bar einherging vor des Bischofs Kleid. 
Der Innigste und Liebendste von allen, 
der kam und lebte wie ein junges Jahr; 
der braune Bruder deiner Nachtigallen, 
in dem ein Wundern und ein Wohlgefallen 
und ein Entzücken an der Erde war. 

Denn er war keiner von den immer Müdern, 
die freudeloser werden nach und nach, 
mit kleinen Blumen wie mit kleinen Brüdern 
ging er den Wiesenrand entlang und sprach. 
Und sprach von sich und wie er sich verwende 
so dass es allem eine Freude sei; 
und seines hellen Herzens war kein Ende, 
und kein Geringes ging daran vorbei. 

Er kam aus Licht zu immer tieferm Lichte, 
und seine Zelle stand in Heiterkeit. 
Das Lächeln wuchs auf seinem Angesichte 
und hatte seine Kindheit und Geschichte 
und wurde reif wie eine Mädchenzeit. 

Und wenn er sang, so kehrte selbst das Gestern 
und das Vergessene zurück und kam; 
und eine Stille wurde in den Nestern, 
und nur die Herzen schrieen in den Schwestern, 
die er berührte wie ein Bräutigam. 

Dann aber lösten seines Liedes Pollen 
sich leise los aus seinem roten Mund 
und trieben träumend zu den Liebevollen 
und fielen in die offenen Corollen 
und sanken langsam auf den Blütengrund. 

Und sie empfingen ihn, den Makellosen, 
in ihrem Leib, der ihre Seele war. 
Und ihre Augen schlossen sich wie Rosen, 
und voller Liebesnächte war ihr Haar. 

Und ihn empfing das Große und Geringe. 
Zu vielen Tieren kamen Cherubim 
zu sagen, dass ihr Weibchen Früchte bringe, - 
und waren wunderschöne Schmetterlinge: 
denn ihn erkannten alle Dinge 
und hatten Fruchtbarkeit aus ihm. 

Und als er starb, so leicht wie ohne Namen, 
da war er ausgeteilt: sein Samen rann 
in Bächen, in den Bäumen sang sein Samen 
und sah ihn ruhig aus den Blumen an. 
Er lag und sang. Und als die Schwestern kamen, 
da weinten sie um ihren lieben Mann. 


Rainer Maria Rilke

19. und 20.4.1903, Viareggio

Aus: Nachlass, Vollendetes

Rosengedichte, siehe hier:
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