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Channel: RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Rosen in Rilkes Dichtung

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Rosenranken
Immer den gleichen Pfad

Ich geh jetzt immer den gleichen Pfad: 
am Garten entlang, wo die Rosen grad 
Einem sich vorbereiten; 
aber ich fühle: noch lang, noch lang 
ist das alles nicht mein Empfang, 
und ich muss ohne Dank und Klang 
ihnen vorüberschreiten.

Ich bin nur der, der den Zug beginnt,
dem die Gaben nicht galten;
bis die kommen, die seliger sind,
lichte, stille Gestalten, -
werden sich alle Rosen im Wind
wie rote Fahnen entfalten.

Rainer Maria Rilke

30.4.1898 , 
Florenz - Torre al Gallo [Maps-Google Torre al Gardo Florenz]

Via Torre al Gardo











RAINER MARIA RILKE 1875-1926
Mit Rilke durch das Jahr - Rainer Maria Rilke

Geo [::.]
Maison Courtenay
QUOD VERUM TUTUM

Rilke und Rosen ....

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Ernst Barlach. Russische Bettlerin I. 1907.
In einem meiner letzten Posts habe ich über eine 
Anekdote um Rainer Maria Rilke  ●  Die Rose . . . . 
berichtet, man kann es auch mit:  Die Bettlerin und die Rose betiteln, 
oder wie es ein anderer Autor (Hans Franck) macht in: Das Herzgeschenk..
um zu sehen worauf es hinaus läuft, um die Quintessenz dieses Stückes zu verstehen.

Man muss dem Herzen schenken!

Während seines erslen Aufenthaltes in Paris ging der deutsche Schriftsteller
Rainer Maria Rilke(1875-1926) jeden Mittag in der Begleitung einer jungen
Französin an einer alten Bettlerin vorbei. Stumm, starr, unbeweglich und
unbeteiligt saß sie Tag für Tag auf einem Mauerstück eines öffentlichen Gar-
tens. Zu keinem Geber sah sie auf. Sie bat nicht und dankte nicht. Hatte ei-
ner ein Geldstück in ihren Handteller gelegt, dann nolte sie die Hand zu sich
zurück, ließ die Münze in ihrer Kleidertasche verschwinden und schickte die
aufgetane Hand wieder von sich fort.

Während nun die Französin die Bettlerin stets mit einer ansehnlichen Gabe
bedachte, spendete Rilke keinen Sou. "Man müsste ih-em Herzen schenken,
nicht ihrer Hand", sagte er ihr, als sie sich über sein Verhalten wunderte. Am
nächsten Mittag trug der Dichter eine kaum erblühte weiße Rose zart, behut-
sam und gütig zwischen den Spitzen seiner Finger. Über das Gesicht der
Freundin lief Freudenröte. Sie dachte: "Mir eine Rose aus der Hand Rainer
Maria Rilkes!" Doch sie bekam die Rose nicht. Bei der Bettlerin angekom-
men, stand der Dichter still und legte die weiße Rose in die geöffnete Hand
der alten Frau. Da geschah, was bisher noch nie geschehen war: Die Bettle-
rin sah zum Geber empor. Mehr noch: sie stand auf, griff nach der Hand des
fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Dichterose fort.

An den folgenden Tagen mied Rilke die Straße der Bettlerin. Die Freundin
hingegen konnte es nicht unterlassen, alle Tage den gewohnten Weg zu
gehen, nur um - wie sie sich selbst zur Entschuldigung sagte - der Bettlerin
die ihr täglich zustehende Münze zu geben. Doch zu hrer großen Verwunde-
rung traf sie die Bettlerin nicht an. Nach einer Woche hielt sie das Schweigen
nicht länger aus. Sie war entschlossen, mit dem Dichter über die Wirkung
seiner Gabe zu sprechen, und zwar sobald er das nächste Mal an der Bettle-
rinstraße vorübergehen wollte. Aber genau in dem Augenblick, da sie ihre
Frage stellen wollte, bog Rilke in die seit einer Woche gemiedene Straße ein.
"Jetzt können wir wieder hier entlanggehen, denn sie sitzt heute wieder an
ihrem Platz." Die Freundin war nur noch eine einzige Frage. Der Dichter hat-
te recht. Die alte Bettlerin saß wie gewohnt auf dem Mauerstück: stumm,
starr, unbeweglich, unbeteiligt. Und während die Rilke-Freundin eine Münze
in die ausgestreckte Hand legte, die größer war als je zuvor, und die Bettlerin
diese auf die übliche Weise verschwinden ließ, gab Rilke nichts. Die Freun-
din aber hatte eine Frage, die sie nicht unterdrücken konnte: "Wovon hat sie
all die Tage, da niemand Geld in ihre Hand legen konnte, gelebt?" 
Rainer Maria Rilke antwortete ihr: "Von der Rose!"

Aus: Hans Franck. Das Herzgeschenk. Hannover 1954.

Zurück zur anderen Fassung, die etwas kürzer aber ebenso treffend ist:

Rainer Maria Rike und die Rose.
Manchmal ist eine Rose wichtiger als ein Stück Brot.
Von Rainer Maria Rilke gibt es eine Geschichte aus der Zeit seines ersten Pariser Aufenthaltes.

Gemeinsam mit einer jungen Französin kam er um die Mittagszeit an einem Platz vorbei, an dem eine Bettlerin saß, die um Geld anhielt. Ohne zu irgendeinem Geber je aufzusehen, ohne ein anderes Zeichen des Bittens oder Dankens zu äussern als nur immer die Hand auszustrecken, sass die Frau stets am gleichen Ort. 
Rilke gab nie etwas, seine Begleiterin gab häufig ein Geldstück. 

Eines Tages fragte die Französin verwundert nach dem Grund, warum er nichts gebe, und Rilke gab ihr zur Antwort: "Wir müssen ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand." Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weisse Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen.

Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon. Eine Woche lang war die Alte verschwunden, der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer. 
Vergeblich suchte die Begleiterin Rilkes eine Antwort darauf, wer wohl jetzt der Alten ein Almosen gebe.  Nach acht Tagen sass plötzlich die Bettlerin wieder wie früher am gewohnten Platz. Sie war stumm wie damals, wiederum nur ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand.

 "Aber wovon hat sie denn all die Tage, da sie nichts erhielt, nur gelebt?", frage die Französin. Rilke antwortete: "Von der Rose . . . ."

Was zeigt uns das?
Die alte Frau, die Bettlerin, hatte nicht nur eine Rose empfangen, sondern Liebe und Zuneigung durch Rilke, symbolisch mit dem Empfang der Rose.

Vielleicht fühlte Sie sich in diesem Augenblick wie ein junges Mädchen, das von einem Verehrer ein Rose als Zeichen der Liebe empfängt. 
Aber, durch das Geschenk der Rose, bekam ihr Herz Nahrung – Lebenskraft und Mut, weiterhin durchzuhalten auch in ihrer schlechten Situation.

Die Rose sieht man und steht im Allgemeinen für das Symbol Liebe.
Unbestritten, dass jeder Mensch, um leben zu können, etwas zu essen und trinken braucht um nicht irgendwann zu verhungern oder verdursten. Odt übersehen wir aber dabei leider die Tatsache, dass wir nicht nur Nahrung und Getränke für unseren Körper benötigen, sondern auch für unsere Seele. Ohne diese Nahrung für Herz und Seele, ohne gute Worte, ohne Liebe, ohne Zuwendung, ohne Lächeln, ohne Lachen, ohne Freundlichkeit verkümmern unser Herz und unsere Seele. Für das Essen und Trinken zu sorgen ist eine Sache, wie es ja im Fall der Bettlerin auch geschehen ist, die Tag für Tag ihre Hand, um Almosen zu bekommen, hingehalten hat, aber innerlich ohne Zuwendung durch Liebe und Gesten
langsam stirbt.

Das Hoffnungsvolle aber ist, dass dieser Tod der Seele und des Herzens nicht endgültig ist
und das man diesen Zustand in jeder Minute, in jeder Sekunde dieses Lebens ändern kann, so wie Rilke das in der Geschichte durch das Überreichen der Rose tat. 
Zuwendung, Freundlichkeit, Liebe, die Rose war ein Zeichen dafür.
Sie zeigte du bist etwas wert, ja du bist mir etwas wert, ich begegne Dir mit Freundlichkeit und Liebe, ich schenke Dir Nahrung für dein Herz und deine Seele.

Durch Rilkes Beispiel wir sollten immer mehr erkennen, wie wichtig die Nahrung für das Herz und die Seele ist, man kann dies auch als geistige Nahrung bezeichnen, die wir auf mannigfaltige Art geben und empfangen können.

Dabei die ist Nahrung für das Herz und die Seele nicht teuer, es kostet wenig 
oftmals nur ein freundliches Lachen, eine liebevolle Zuwendung, eine herzliche Umarmung, ein gemeinsames Lachen, Dankbarkeit dem gegenüber, der mir etwas Gutes getan hat, 
im Beispiel Rilkes eine Rose als Ausdruck der Wertschätzung, 
ein kleiner selbst gepflückter Blumenstrauß oder aber nur ein Dankeschön um zu zeigen daß nichts Selbstverständlich ist. 

Die Nahrung für Herz und Seele ist genau so wichtig wie die buchstäbliche Nahrung
Das ist die Quintessenz, das Wichtigste an dieser Geschichte.


RAINER MARIA RILKE 1875-1926
immer unter Mit Rilke durch das Jahr - Rainer Maria Rilke


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Rosen in Rilkes Dichtung

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Honoré Daumier : Narziss

siehe oben.
Narziss

Dies also. dies geht von mir aus und löst
sich in der Luft und im Gefühl der Haine,
entweicht mir leicht und wird nicht mehr das Meine
und glänzt, weil es auf keine Feindschaft stößt.

Dies hebt sich unaufhörlich von mir fort,
ich will nicht weg, ich warte, ich verweile;
doch alle meine Grenzen haben Eile,
stürzen hinaus und sind schon dort.

Und selbst im Schlaf. Nichts bindet uns genug.
Nachgiebig Mitte in mir, Kern voll Schwäche,
der nicht sein Fruchtfleisch anhält. Flucht, o Flug
von allen Stellen meiner Oberfläche.

Was sich dort bildet und mir sicher gleicht
und aufwärts zittert in verweinten Zeichen,
das mochte so in einer Frau vielleicht
innen entstehn; es war nicht zu erreichen,

wie ich danach auch drängend in sie rang.
Jetzt liegt es offen in dem teilnahmslosen
zerstreuten Wasser, und ich darf es lang
anstaunen unter meinem Kranz von Rosen.

Dort ist es nicht geliebt. Dort unten drin
ist nichts, als Gleichmut überstürzter Steine,
und ich kann sehen, wie ich traurig bin.
War dies mein Bild in ihrem Augenscheine?

Hob es sich so in ihrem Traum herbei
in süßer Frucht? Fast fühl ich schon die ihre.
Denn, wie ich mich in meinem Blick verliere:
ich könnte denken, dass ich tödlich sei.

Rainer Maria Rilke

April 1913, Paris
Gesammelte Werke, Band III
Rilke wohnte damals in : 17 Rue Campagne Première, Paris, Frankreich
[Maps-Google-Paris : 17 Rue Campagne Première, Paris, Frankreich]

John William Waterhouse, Echo und Narziss, 1903.
RAINER MARIA RILKE 1875-1926
 
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Rosen in Rilkes Dichtung

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Der Abenteuerer

            VII
Wenn er unter jene welche waren 
trat: der Plötzliche, der schien, 
war ein Glanz wie von Gefahren 
in dem ausgesparten Raum um ihn, 

den er lächelnd überschritt, um einer 
Herzogin den Fächer aufzuheben: 
diesen warmen Fächer, den er eben 
wollte fallen sehen. Und wenn keiner 

mit ihm eintrat in die Fensternische 
(wo die Parke gleich ins Träumerische 
stiegen, wenn er nur nach ihnen wies), 
ging er lässig an die Kartentische 
und gewann. Und unterließ 

nicht, die Blicke alle zu behalten, 
die ihn zweifelnd oder zärtlich trafen, 
und auch die in Spiegel fielen, galten. 
Er beschloss, auch heute nicht zu schlafen 

wie die letzte lange Nacht, und bog 
einen Blick mit seinem rücksichtslosen 
welcher war: als hätte er von Rosen 
Kinder, die man irgendwo erzog. 

            VII
In den Tagen - (nein, es waren keine), 
da die Flut sein unterstes Verlies 
ihm bestritt, als wär es nicht das seine, 
und ihn, steigend, an die Steine 
der daran gewöhnten Wölbung stieß, 

fiel ihm plötzlich einer von den Namen 
wieder ein, die er vor Zeiten trug. 
Und er wusste wieder: Leben kamen, 
wenn er lockte; wie im Flug 

kamen sie noch warme Leben Toter, 
die er, ungeduldiger, bedrohter, 
weiterlebte mitten drin; 
oder die nicht ausgelebten Leben. 
und er wusste sie hinaufzuheben, 
und sie hatten wieder Sinn. 

Oft war keine Stelle an ihm sicher, 
und er zitterte: Ich bin - - - 
doch im nächsten Augenblicke glich er 
dem Geliebten einer Königin. 

Immer wieder war ein Sein zu haben: 
die Geschicke angefangner Knaben, 
die, als hätte man sie nicht gewagt, 
abgebrochen waren, abgesagt, 
nahm er auf und riss sie in sich hin; 

denn er musste einmal nur die Gruft 
solcher Aufgegebener durchschreiten, 
und die Düfte ihrer Möglichkeiten 
lagen wieder in der Luft. 

Rainer Maria Rilke

I: 5.9.1907 und Frühsommer 1908, 
II: 22.8.-5.9.1907, Paris.
Rilke wohnte damals bis Oktober 1907 in 29. Rue Casette, Paris
[Google-Maps-Paris, 29. Rue Casette]

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Das Rosen-Innere

Wo ist zu diesem Innen 
ein Außen? Auf welches Weh 
legt man solches Linnen ? 
Welche Himmel spiegeln sich drinnen 
in dem Binnensee 
dieser offenen Rosen, 
dieser sorglosen, sieh: 
wie sie lose im Losen 
liegen, als könnte nie 
eine zitternde Hand sie verschütten. 
Sie können sich selber kaum 
halten; viele ließen 
sich überfüllen und fließen 
über von Innenraum 
in die Tage, die immer 
voller und voller sich schließen, 
bis der ganze Sommer ein Zimmer 
wird, ein Zimmer in einem Traum. 

Rainer Maria Rilke
2.8.1907, Paris

Rosen betrachten
Paris: Rainer Maria Rilke wohnte vom 6. Jun-31. Oktober 1907 in  29, rue Cassette, Paris
[Google-Maps-Paris, 29. Rue Casette]

RAINER MARIA RILKE 1875-1926

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Fragmente aus verlorenen Tagen

....Wie Vögel, welche sich gewöhnt ans Gehn 
und immer schwerer werden, wie im Fallen: 
die Erde saugt aus ihren langen Krallen 
die mutige Erinnerung von allen 
den großen Dingen, welche hoch geschehn, 
und macht sie fast zu Blättern, die sich dicht 
am Boden halten, - 
wie Gewächse, die, 
kaum aufwärts wachsend, in die Erde kriechen, 
in schwarzen Schollen unlebendig licht 
und weich und feucht versinken und versiechen, - 
wie irre Kinder, - wie ein Angesicht 
in einem Sarg, - wie frohe Hände, welche 
unschlüssig werden, weil im vollen Kelche 
sich Dinge spiegeln, die nicht nahe sind, - 
wie Hülferufe, die im Abendwind 
begegnen vielen dunklen großen Glocken, - 
wie Zimmerblumen, die seit Tagen trocken, 
wie Gassen, die verrufen sind, - wie Locken, 
darinnen Edelsteine blind geworden sind, - 
wie Morgen im April 
vor allen vielen Fenstern des Spitales: 
die Kranken drängen sich am Saum des Saales 
und schaun: die Gnade eines frühen Strahles 
macht alle Gassen frühlinglich und weit; 
sie sehen nur die helle Herrlichkeit, 
welche die Häuser jung und lachend macht, 
und wissen nicht, dass schon die ganze Nacht 
ein Sturm die Kleider von den Himmeln reißt, 
ein Sturm von Wassern, wo die Welt noch eist, 
ein Sturm, der jetzt noch durch die Gassen braust 
und der den Dingen alle Bürde 
von ihren Schultern nimmt, - 
dass Etwas draußen groß ist und ergrimmt, 
dass draußen die Gewalt geht, eine Faust, 
die jeden von den Kranken würgen würde 
inmitten dieses Glanzes, dem sie glauben. - 
...... Wie lange Nächte in verwelkten Lauben, 
die schon zerrissen sind auf allen Seiten 
und viel zu weit, um noch mit einem Zweiten, 
den man sehr liebt, zusammen drin zu weinen, - 
wie nackte Mädchen, kommend über Steine, 
wie Trunkene in einem Birkenhaine, - 
wie Worte, welche nichts Bestimmtes meinen 
und dennoch gehn, ins Ohr hineingehn, weiter 
ins Hirn und heimlich auf der Nervenleiter 
durch alle Glieder Sprung um Sprung versuchen, - 
wie Greise, welche ihr Geschlecht verfluchen 
und dann versterben, so dass keiner je 
abwenden könnte das verhängte Weh, 
wie volle Rosen, künstlich aufgezogen 
im blauen Treibhaus, wo die Lüfte logen, 
und dann vom Übermut in großem Bogen 
hinausgestreut in den verwehten Schnee, - 
wie eine Erde, die nicht kreisen kann, 
weil zuviel Tote ihr Gefühl beschweren, 
wie ein erschlagener verscharrter Mann, 
dem sich die Hände gegen Wurzeln wehren, - 
wie eine von den hohen, schlanken, roten 
Hochsommerblumen, welche unerlöst 
ganz plötzlich stirbt im Lieblingswind der Wiesen, 
weil ihre Wurzel unten an Türkisen 
im Ohrgehänge einer Toten 
stößt.... 

Und mancher Tage Stunden waren so. 
Als formte wer mein Abbild irgendwo, 
um es mit Nadeln langsam zu misshandeln. 
Ich spürte jede Spitze seiner Spiele, 
und war, als ob ein Regen auf mich fiele, 
in welchem alle Dinge sich verwandeln. 

Rainer Maria Rilke

7.11.1900, 
Berlin-Schmargendorf
[ Google-Maps-Schmagerndorf Berlin ]

RAINER MARIA RILKE 1875-1926

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Rosen in Rilkes Dichtung

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Paula Moderson Becker, Portrait Clara Rilke Westhoff. 1905.
Man beachte die Rose.



Requiem

Clara Westhoff gewidmet

Seit einer Stunde ist um ein Ding mehr
auf Erden. Mehr um einen Kranz.
Vor einer Weile war das leichtes Laub... Ich wands:
Und jetzt ist dieser Efeu seltsam schwer
und so von Dunkel voll, als tränke er
aus meinen Dingen zukünftige Nächte.
Jetzt graut mir fast vor dieser nächsten Nacht,
allein mit diesem Kranz, den ich gemacht,
nicht ahnend, dass da etwas wird,
wenn sich die Ranken ründen um den Reifen;
ganz nur bedürftig, dieses zu begreifen:
dass etwas nichtmehr sein kann. Wie verirrt
in nie betretene Gedanken, darinnen wunderliche Dinge stehn,
die ich schon einmal gesehen haben muss...

.... Flussabwärts treiben die Blumen, welche die
Kinder gerissen haben im Spiel; aus den offenen
Fingern fiel eine und eine, bis dass der Strauß nicht
mehr zu erkennen war. Bis der Rest, den sie nachhaus
gebracht, gerade gut zum Verbrennen war. Dann
konnte man ja die ganze Nacht, wenn einen alle
schlafen meinen, um die gebrochenen Blumen weinen.

Gretel, von allem Anbeginn
war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben,
blond zu sterben.
Lange schon, eh dir zu leben bestimmt war.
Darum stellte der Herr eine Schwester vor dich
und dann einen Bruder,
damit vor dir wären zwei Nahe, zwei Reine,
welche das Sterben dir zeigten,
das deine:
dein Sterben.
Deine Geschwister wurden erfunden.
nur, damit du dich dran gewöhntest,
und dich an zweien Sterbestunden
mit der dritten versöhntest,
die dir seit Jahrtausenden droht.
Für deinen Tod
sind Leben erstanden;
Hände, welche Blüten banden,
Blicke, welche die Rosen rot
und die Menschen mächtig empfanden,
hat man gebildet und wieder vernichtet
und hat zweimal das Sterben gedichtet,
eh es, gegen dich selbst gerichtet,
aus der verloschenen Bühne trat.

... Nahte es dir schrecklich, geliebte Gespielin?
war es dein Feind?
Hast du dich ihm ans Herz geweint?
Hat es dich aus den heißen Kissen
in die flackernde Nacht gerissen,
in der niemand schlief im ganzen Haus...?
Wie sah es aus?
Du musst es wissen.
Du bist dazu in die Heimat gereist.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Du weißt
wie die Mandeln blühn
und dass Seeen blau sind.
Viele Dinge, die nur im Gefühle der Frau sind
welche die erste Liebe erfuhr, -
weißt du. Dir flüsterte die Natur
in des Südens spätdämmernden Tagen
so unendliche Schönheit ein,
wie sonst nur selige Lippen sie sagen
seliger Menschen, die zu zwein
eine Welt haben und eine Stimme -
leiser hast du das alles gespürt, -
(o wie hat das unendlich Grimme
deine unendliche Demut berührt).
Deine Briefe kamen von Süden,
warm noch von Sonne, aber verwaist, -
endlich bist du selbst deinen müden
bittenden Briefen nachgereist;
denn du warst nicht gerne im Glanze,
jede Farbe lag auf dir wie Schuld,
und du lebtest in Ungeduld,
denn du wusstest: das ist nicht das Ganze.
Leben ist nur ein Teil.... Wovon?
Leben ist nur ein Ton.... Worin?
Leben hat Sinn nur, verbunden mit vielen
Kreisen des weithin wachsenden Raumes, -
Leben ist so nur der Traum eines Traumes,
aber Wachsein ist anderswo.
So ließest du's los.
Groß ließest du's los.
Und wir kannten dich klein.
Dein war so wenig: ein Lächeln, ein kleines,
ein bisschen melancholisch schon immer,
sehr sanftes Haar und ein kleines Zimmer,
das dir seit dem Tode der Schwester weitwar.
Als ob alles andere nur dein Kleid war
so scheint es mir jetzt, du stilles Gespiel.
Aber sehr viel
warst du. Und wir wusstens manchmal,
wenn du am Abend kamst in den Saal;
wussten manchmal: jetzt müsste man beten;
eine Menge ist eingetreten,
eine Menge, welche dir nachgeht,
weil du den Weg weißt.
Und du hast ihn wissen gemusst
und hast ihn gewusst gestern...
jüngste der Schwestern.

Sieh her,
dieser Kranz ist so schwer.
Und sie werden ihn auf dich legen,
diesen schweren Kranz.
Kanns dein Sarg aushalten?
Wenn er bricht
unter dem schwarzen Gewicht,
kriecht in die Falten
von deinem Kleid
Efeu.
Weit rankt er hinauf,
rings rankt er dich um,
und der Saft, der sich in seinen Ranken bewegt,
regt dich auf mit seinem Geräusch;
so keusch bist du.
Aber du bist nichtmehr zu.
Langgedehnt bist du und laß.
Deines Leibes Türen sind angelehnt,
und nass
tritt der Efeu ein....
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
wie Reihn
von Nonnen,
die sich führen
an schwarzem Seil,
weil es dunkel ist in dir, du Bronnen.
In den leeren Gängen
deines Blutes drängen sie zu deinem Herzen;
wo sonst deine sanften Schmerzen
sich begegneten mit bleichen
Freuden und Erinnerungen, -
wandeln sie, wie im Gebet,
in das Herz, das, ganz verklungen,
dunkel, allen offen steht.

Aber dieser Kranz ist schwer
mir im Licht,
nur unter Lebenden, hier bei mir;
und sein Gewicht
ist nicht mehr
wenn ich ihn, zu dir legen werde.
Die Erde ist voller Gleichgewicht,
Deine Erde.
Er ist schwer von meinen Augen, die daran hängen,
schwer von den Gängen,
die ich um ihn getan;
Ängste aller, welche ihn sahn,
haften daran.
Nimm ihn zu dir, denn er ist dein
seit er ganz fertig ist.
Nimm ihn von mir.
Lass mich allein! Er ist wie ein Gast...
fast schäm ich mich seiner.
Hast du auch Furcht, Gretel?

Du kannst nicht mehr gehn?
Kannst nicht mehr bei mir in der Stube stehn?
Tun dir die Füße weh?
So bleib wo jetzt alle beisammen sind,
man wird ihn dir morgen bringen, mein Kind,
durch die entlaubte Allee.
Man wird ihn dir bringen, warte getrost, -
man bringt dir morgen noch mehr.
Wenn es auch morgen tobt und tost,
das schadet den Blumen nicht sehr.
Man wird sie dir bringen. Du hast das Recht,
sie sicher zu haben, mein Kind,
und wenn sie auch morgen schwarz und schlecht
und lange vergangen sind.
Sei deshalb nicht bange. Du wirst nicht mehr
unterscheiden, was steigt oder sinkt;
die Farben sind zu und die Töne sind leer,
und du wirst auch gar nicht mehr wissen, wer
dir alle die Blumen bringt.

Jetzt weißt du das Andre, das uns verstößt,
so oft wir's im Dunkel erfasst;
von dem, was du sehntest, bist du erlöst
zu etwas, was du hast.
Unter uns warst du von kleiner Gestalt,
vielleicht bist du jetzt ein erwachsener Wald
mit Winden und Stimmen im Laub. -
Glaub mir, Gespiel, dir geschah nicht Gewalt:
Dein Tod war schon alt,
alt dein Leben begann;
drum griff er es an,
damit es ihn nicht überlebte.

........................
Schwebte etwas um mich?
Trat Nachtwind herein?
Ich bebte nicht.
Ich bin stark und allein. -
Was hab ich heute geschafft?
....Efeulaub holt ich am Abend und wands
und bog es zusammen, bis es ganz gehorchte.
Noch glänzt es mit schwarzem Glanz.
Und meine Kraft
kreist in dem Kranz.

Rainer Maria Rilke
20.11.1900, Berlin-Schmargendorf

Oskar Zwintscher, Portrait von Clara Rilke Westhoff. 1902
RAINER MARIA RILKE 1875-1926

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Rosen in Rilkes Dichtung

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RAINER MARIA RILKE



Der Sänger singt vor einem Fürstenkind

Paula Modersohn-Becker, Selbstportrait. 1897, 21 Jahre alt.
DEM ANDENKEN VON PAULA BECKER - MODERSOHN

Du blasses Kind, an jedem Abend soll
der Sänger dunkel stehn bei deinen Dingen
und soll dir Sagen, die im Blute klingen,
über die Brücke seiner Stimme bringen
und eine Harfe, seiner Hände voll.

Nicht aus der Zeit ist, was er dir erzählt,
gehoben ist es wie aus Wandgeweben;
solche Gestalten hat es nie gegeben, -
und Niegewesenes nennt er das Leben.
Und heute hat er diesen Sang erwählt:

Du blondes Kind von Fürsten und aus Frauen,
die einsam warteten im weißen Saal, -
fast alle waren bang, dich aufzubauen,
um aus den Bildern einst auf dich zu schauen:
auf deine Augen mit den ernsten Brauen,
auf deine Hände, hell und schmal.

Du hast von ihnen Perlen und Türkisen,
von diesen Frauen, die in Bildern stehn
als stünden sie allein in Abendwiesen, -
du hast von ihnen Perlen und Türkisen
und Ringe mit verdunkelten Devisen
und Seiden, welche welke Düfte wehn.

Du trägst die Gemmen ihrer Gürtelbänder
ans hohe Fenster in den Glanz der Stunden,
und in die Seide sanfter Brautgewänder
sind deine kleinen Bücher eingebunden,
und drinnen hast du, mächtig über Länder,
ganz groß geschrieben und mit reichen, runden
Buchstaben deinen Namen vorgefunden.

Und alles ist, als wär es schon geschehn.

Sie haben so, als ob du nicht mehr kämst,
an alle Becher ihren Mund gesetzt,
zu allen Freuden ihr Gefühl gehetzt
und keinem Leide leidlos zugesehn;
so dass du jetzt
stehst und dich schämst.
... Du blasses Kind, dein Leben ist auch eines, -
der Sänger kommt dir sagen, dass du bist.
Und dass du mehr bist als ein Traum des Haines,
mehr als die Seligkeit des Sonnenscheines,
den mancher graue Tag vergisst.
Dein Leben ist so unaussprechlich Deines,
weil es von vielen überladen ist.

Empfindest du, wie die Vergangenheiten
leicht werden, wenn du eine Weile lebst,
wie sie dich sanft auf Wunder vorbereiten,
jedes Gefühl mit Bildern dir begleiten, -
und nur ein Zeichen scheinen ganze Zeiten
für eine Geste, die du schön erhebst. -

Das ist der Sinn von allem, was einst war,
dass es nicht bleibt mit seiner ganzen Schwere,
dass es zu unserm Wesen wiederkehre,
in uns verwoben, tief und wunderbar:

So waren diese Frauen elfenbeinern,
von vielen Rosen rötlich angeschienen,
so dunkelten die müden Königsmienen,
so wurden fahle Fürstenmunde steinern
und unbewegt von Waisen und von Weinern,
so klangen Knaben an wie Violinen
und starben für der Frauen schweres Haar;
so gingen Jungfraun der Madonna dienen,
denen die Welt verworren war.
So wurden Lauten laut und Mandolinen,
in die ein Unbekannter größer griff, -
in warmen Samt verlief der Dolche Schliff, -
Schicksale bauten sich aus Glück und Glauben,
Abschiede schluchzten auf in Abendlauben, -
und über hundert schwarzen Eisenhauben
schwankte die Feldschlacht wie ein Schiff.
So wurden Städte langsam groß und fielen
in sich zurück wie Wellen eines Meeres,
so drängte sich zu hochbelohnten Zielen
die rasche Vogelkraft des Eisenspeeres,
so schmückten Kinder sich zu Gartenspielen, -
und so geschah Unwichtiges und Schweres,
nur, um für dieses tägliche Erleben
dir tausend große Gleichnisse zu geben,
an denen du gewaltig wachsen kannst.

Vergangenheiten sind dir eingepflanzt,
um sich aus dir, wie Gärten, zu erheben.

Du blasses Kind, du machst den Sänger reich
mit deinem Schicksal, das sich singen lässt:
so spiegelt sich ein großes Gartenfest
mit vielen Lichtern im erstaunten Teich.
Im dunklen Dichter wiederholt sich still
ein jedes Ding: ein Stern, ein Haus, ein Wald.
Und viele Dinge, die er feiern will,
umstehen deine rührende Gestalt.


Rainer Maria Rilke
3.10.1900, Worpswede

Heinrich Vogeler, Sommerabend. Das Konzert. 1906
Links im Bild: Paula Moderson Becker, Agnes Wulff, Otto Modersohn, Clara Rilke Westhoff,
Rainer Maria Rilke fehlt.  Mitte: Martha Vogerler (mit Hund),
Rechts im Bild: Franz Vogeler mit Querflöte, Martin Schröder mit Viola, Heinrich Vogeler
mit Cello, halb verdeckt.
Der Barkenhoff  niederdeutsch, Birkenhof,
wurde ein wichtiger Treffpunkt der Künstlerkolonie. 
Zu der Barkenhoff-Familie gehörten der Dichter Rainer Maria Rilke, dessen Frau, die Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff, Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker, 
Paulas Schwester Milly, Heinrich Vogeler, seine Ehefrau Martha Vogeler, sein Bruder Franz mit Frau Philine. 
Die drei Paare Rilke, Modersohn und Vogeler heirateten im Jahr 1901.

Rilkes Spruch :
„Licht ist sein Loos / ist der Herr nur das Herz und die Hand / des Bau’s mit den Linden im Land / wird auch sein Haus / schattig und groß“, 
den der Dichter zum Weihnachtsfest im Jahr 1898 geschrieben hatte, ließ Vogeler als Haussegen in die Eingangstür des Barkenhoff einkerben, wo er heute noch zu sehen ist.

Rilkes Inschrift im Hause Heinrich Vogelers im Barkenhoff eingeschnitzt.
Zu den Besuchern des Hauses gehörten beispielsweise Richard Dehmel, 
Gerhart Hauptmann, Carl Hauptmann, Thomas Mann, der Insel-Verlagsgründer 
Rudolf Alexander Schröder und Max Reinhardt. 

Sonntags las und rezitierte der Künstlerkreis, tanzte, sang und gestaltete das Leben als Kunstwerk. 
Worpswede

Lage, Worpswede.

Paula Becker - Modersohn. 8. Februar 1876 - 20. November 1907.
Paula Becker - Modersohn
* 8. Februar 1876 in Dresden-Friedrichstadt geborene Paula Becker,
† 20. November 1907 in Worpswede,
war eine deutsche Malerin und eine der bedeutendsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus.

In den knapp vierzehn Jahren, in denen sie künstlerisch tätig war, schuf sie 750 Gemälde,
etwa 1000 Zeichnungen und 13 Radierungen, die die bedeutendsten Aspekte der Kunst
des frühen 20. Jahrhunderts in sich vereinen. [W]


Paula Modersohn-Becker. 1905
 "Ich weiß, ich werde nicht sehr lange leben. 
Aber ist das denn traurig? 
Ist ein Fest schöner, weil es länger ist?" 
Aus: Tagebuch, 26. Juli 1900.

Paula Modersohn-Becker, Birkenstämme vor rotem Haus. 1901

"Seid Idealisten bis ins Greisenalter. 
Idealisten, die eine Idee verkörpern. 
Dann habt ihr gelebt." 
Aus: Briefe, 26. April 1900
Paula Moderson Becker.

RAINER MARIA RILKE 1875-1926


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Maison Courtenay
QUOD VERUM TUTUM

Rosen in Rilkes Dichtung

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Camille Pissarro, an den Ufern der Seine, Louvre, Seine, Pont Neuf. 1902

Wenn endlich Drang und Stumpfheit sich entzwein

Wenn endlich Drang und Stumpfheit sich entzwein
und jetzt in dir, du Kind von unbekannten
Hinglimmenden, die nie mit Flamme brannten,
auf einmal Wärme wird und Feuerschein:

dann Engel sein und nieder, ein beschwingter,
der sich zu dir entschließt und tönt und tut,
und eine Klängefolge unbedingter
Gefühle führen durch dein neues Blut.

Das Selbstverständliche des Paradieses
dir wiederbringen wie ein Wind der bläst,
im Wiesenstilln und im Einklang des Kieses
dir leicht zu wissen geben wie du gehst.

Dir eine Rose zeigen, diese, drüben,
zu weit für uns und doch schon großgeblüht,
und hunderte Verlorene zu üben
in deinem aufgefundenen Gemüt.

Sieh, sieh den Fluss, das Ufer und die Bäume,
den Rücken ruhiger Angler, einen Hund,
ist dies doch Dasein, sind es gute Träume?
Freundschaftlich fließt es in den Hintergrund.

Und dieser Hang ist uns so sanft bereitet:
wir ruhen aus und ahnen dass wir tun,
entzückt dass unser Herz uns überschreitet
und müdgelaufen wie in Kinderschuhn.

Dies ist so immer, wo ist eine Stelle
an uns die hingeht, fühle: alles weilt,
und klare Dunkelheit und tiefe Helle
ist ohne Unterschiede ausgeteilt.

Befriedigungen ungezählter Jahre
sind in der Luft, voll Blumen liegt dein Hut
und der Geruch aus deinem reinen Haare
mischt sich mit Welt als wäre alles gut.

Rainer Maria Rilke
26./27.6.1911, Paris
Gedichte 1906 bis 1926.

Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte 
aus den mittleren und späten Jahren.

RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
Rilke immer unter : Mit Rilke durch das Jahr | Rainer Maria Rilke


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QUOD VERUM TUTUM

Rosen in Rilkes Dichtung

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 Henri Edmond Cross [Frankreich]1856-1910. Lakeside with Cypresses.
Schau, wie die Zypressen schwärzer werden

Schau, wie die Zypressen schwärzer werden
in den Wiesengründen, und auf wen
in den unbetretbaren Alleen
die Gestalten mit den Steingebärden
weiterwarten, die uns übersehn.

Solchen stillen Bildern will ich gleichen
und gelassen aus den Rosen reichen,
welche wiederkommen und vergehn;
immerzu wie einer von den Teichen
dunkle Spiegel immergrüner Eichen
in mir halten, und die großen Zeichen
ungezählter Nächte näher sehn.


Rainer Maria Rilke 
4.5.1898, Florenz (Ripoli)

Der Künstler:  Henri Edmond Cross 
 * 20. Mai 1856 in Douai; 
 † 16. Mai 1910 in Saint-Clair (Var); 
 eigentlich Henri-Edmond Delacroix,
 war ein französischer Maler, einer der bedeutendsten Vertreter des Pointillismus.

Henri Edmond Cross [Frankreich]1856-1910. Die Zypressen von Cagnes.
Kunst & Gedichte.

RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
Rilke immer unter :  Mit Rilke durch das Jahr | Rainer Maria Rilke

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Rosen in Rilkes Dichtung

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Vincent van Gogh, Zypressen und zwei Frauen,
Noch ahnst du nichts vom Herbst des Haines

Noch ahnst du nichts vom Herbst des Haines,
drin lichte Mädchen lachend gehn;
nur manchmal küsst wie fernes, feines
Erinnern dich der Duft des Weines, -
sie lauschen, und es singt wohl eines
ein wehes Lied vom Wiedersehn.

In leiser Luft die Ranken schwanken,
wie wenn wer Abschied winkt. - Am Pfad
stehn alle Rosen in Gedanken;
sie sehen ihren Sommer kranken,
und seine hellen Hände sanken
leise von seiner reifen Tat.


Rainer Maria Rilke
14.9.1897, München

Kunst & Gedichte.
RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Rosen in Rilkes Dichtung

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Manuel Benedito Vives [Spanien] Frau mit Rosen,
Damen-Bildnis aus den Achtziger-Jahren

Wartend stand sie an den schwergerafften 
dunklen Atlasdraperien, 
die ein Aufwand falscher Leidenschaften 
über ihr zu ballen schien; 

seit den noch so nahen Mädchenjahren 
wie mit einer anderen vertauscht 
müde unter den getürmten Haaren, 
in den Rüschen-Roben unerfahren 
und von allen Falten wie belauscht 

bei dem Heimweh und dem schwachen Planen, 
wie das Leben weiter werden soll: 
anders, wirklicher, wie in Romanen, 
hingerissen und verhängnisvoll, - 

dass man etwas erst in die Schatullen 
legen dürfte, um sich im Geruch 
von Erinnerungen einzulullen; 
dass man endlich in dem Tagebuch 

einen Anfang fände, der nicht schon 
unterm Schreiben sinnlos wird und Lüge, 
und ein Blatt von einer Rose trüge 
in dem schweren leeren Medaillon, 

welches liegt auf jedem Atemzug. 
Dass man einmal durch das Fenster winkte; 
diese schlanke Hand, die neuberingte, 
hätte dran für Monate genug. 



Rainer Maria Rilke

zwischen dem 22.8. und 5.9.1907, Paris

Der Künstler: Manuel Benedito Vives. 1875-1963

Kunst & Gedichte.
RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
Rilke immer unter : Mit Rilke durch das Jahr | Rainer Maria Rilke

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Rosen in Rilkes Dichtung

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Für Ernst Hardt
auf seine 'Ninon von Lenclos'

Der süßen Ninon süßes leichtes Leben
wie ist es Euch zu Greifbarem gereift.
Wie habt Ihr es genommen und gegeben:
so wie ein Abendwind im Niederschweben
nach einer überfollen Rose greift.

Dann kommt die Nacht, in der sie noch nicht fällt,
behutsam wie von einem Händefalten,
von ihrem Glühen mitten im Erkalten,
von irgendetwas noch zusammengehalten,
obwohl sie keines ihrer Blätter hält.

Wie habt Ihr jene wunderliche Nacht
heraufgerufen, glühend und verdüstert,
mit allem, was in ihren Büschen flüstert,
mit allem, was auf ihrem Grunde wacht:

in der Ninon, in ihres Herzens Kelche
schon lose liegend, sich noch einmal schloss
und dann in eine lange Schale überfloss,
in eine schöne ewige . . . .
                        in welche?

Rainer Maria Rilke

Januar 1906, Meudon-Gedichte 1906 bis 1926.
Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte aus den mittleren und späten Jahren.

Ninon de Lenclos
Ninon de Lenclos, eigentlich Anne,
* 10. November 1620 in Paris,
† 17. Oktober 1705 in Paris,  war eine französische Kurtisane und Salonière.
Sie gilt in Frankreich als eine der herausragendsten Frauen des 17. Jahrhunderts.
[ Life, Letters, and Epicurean Philosophy of Ninon de L'Enclos by Ninon de Lenclos bei Gutenberg-org ]

Ninon
Hardt, Ernst - 1876–1947
Friedrich Wilhelm Ernst Hardt 
Schriftsteller, Übersetzer, Theater- und Rundfunkintendant.

Lyrik
Sammlungen, Einzelgedichte und Entwürfe.
Dramatisches (auch Handexemplare mit Korrekturen)
Schauspiele »Gudrun«, »König Salomo«, »Ninon de Lenclos«,  das Wer kann hier gelesen werden:
Archive-org | »Tantris der Narr« u.a.; Lustspiele »Schirin und Gertraude« u.a.; Drehbücher und Filmexposés.

Prosa
Erzählungen und Novellen »Priester des Todes«, »Der Traum des Zensors« u.a.; Arbeiten über Arnold Böcklin, Otto Brahm, Stefan George, Johann Wolfgang von Goethe, Edvard Munch, Henry van de Velde, Paul Verlaine u.a.; Rundfunkreden und Ansprachen; Berichte über die Stimmung der französischen Bevölkerung 1915/16 aus dem Briefwechsel französischer Kriegsgefangener; Vorträge »Arbeiterschaft und Rundfunk« u.a.; »Brief an einen Deutschen ins Feld«; »Aufruf zur Gründung einer Demokratischen Partei Großthüringen«.

Übersetzungen
Novellen und der Roman »Bel ami« von Guy de Maupassant; u.a.
Autobiographisches
Tagebuchaufzeichnungen u.a.

Briefe an
Fritz Adler, Karl August Düppengießer, Michel Eulambio, Tilla Goetz-Hardt, Botho Graef, Anna Lucie Hardt, Polyxena Hardt, Walther Rathenau, Georg Witkowski u.a.

Briefe von
Johannes R. Becher, Otto Behagel, Marcus Behmer, Rudolf G. Binding, Hedwig Bleibtreu, Rudolf Borchardt, Otto Brahm, Bertolt Brecht, Ludwig Coellen, Richard Dehmel, Franz Deibel, Adele Doré,Käthe Dorsch, Franz Dülberg, Karl August Düppengießer, Hans Ebert, Kasimir Edschmid, Michel Eulambio, Herbert Eulenberg, Cäsar Flaischlen, Leonhard Frank, Ludwig Fulda, Hans von der Gabelentz,Josef Theodor Glaser, Tilla Goetz-Hardt, Botho Graef, Paul Graener, Walter Gropius, Peter Hamecher, Maximilian Harden, Anna Lucie Hardt, Donata Hardt, Paul Hardt, Polyxena Hardt, Otto Erich Hartleben, Walter Hasenclever, Carl Hauptmann, Gerhart Hauptmann, Ludwig von Hofmann, Friedrich Huch, Georg Karo, Anton und Katharina Kippenberg°, Oscar Kohnstamm, Hans Kyser, Else Lasker-Schüler, Melchior Lechter, Heinrich Lilienfein, Alexander Maass, Heinrich Mann, Max Martersteig, Walter von Molo, Joachim Moras, Hans von Müller, Helene von Nostitz, Rudolf Presber, Walther Rathenau, Edwin Redslob, Eduard Reinacher, Rainer Maria Rilke, Hans Rothe, Richard Salzmann, Willi Schäferdiek, Paul Schlenther, Wilhelm Schmidtbonn, Arthur Schnitzler, Wilhelm von Scholz, Carl Stang, Paul Steinmüller, Otto von Taube, Hugo Thimig, Heinrich Vierordt, Karl Gustav Vollmoeller, Georg Witkowski, Karl Wolfskehl, Paul Zech, Stefan Zweig u.a.; Anstalt für Aufführungsrecht dramatischer Werke der Literatur und Musik Berlin; Verlage Drei Masken, Insel, Oldenbourg, Propyläen u.a.; Zeitschriften, Bühnen, literarische Gesellschaften u.a. – Briefe, Verträge und andere Materialien zu seiner Tätigkeit als Leiter des Deutschen Nationaltheaters Weimar und des Schauspielhauses Köln; Dokumente zu seiner Arbeit als Leiter des Westdeutschen Rundfunks Köln, zu seiner Entlassung 1933 und zum sogenannten Rundfunkprozeß.

Hier:  DLA Marbach- Baden Württemberg

Einige seiner Werke findet man hier bei Onlinebooks Library

RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
Rilke immer unter : Mit Rilke durch das Jahr - Rainer Maria Rilke.

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Rosen in Rilkes Dichtung

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Dies ist nun der vorerst letzte Beitrag zu meiner Serie :
Rosen in Rilkes Dichtung.
Rainer Maria Rilke, auf einem Mäuerchen sitzend.


Rilkes Rosen ....
Es wird nicht Ruhen in den Häusern

Es wird nicht Ruhe in den Häusern, sei's 
dass einer stirbt und sie ihn weitertragen, 
sei es dass wer auf heimliches Geheiß 
den Pilgerstock nimmt und den Pilgerkragen, 
um in der Fremde nach dem Weg zu fragen, 
auf welchem er dich warten weiß. 

Die Straßen werden derer niemals leer, 
die zu dir wollen wie zu jener Rose
die alle tausend Jahre einmal blüht. 
Viel dunkles Volk und beinah Namenlose, 
und wenn sie dich erreichen, sind sie müd. 

Aber ich habe ihren Zug gesehn; 
und glaube seither, dass die Winde wehn 
aus ihren Mänteln, welche sich bewegen, 
und stille sind wenn sie sich niederlegen -: 
so groß war in den Ebenen ihr Gehn. 


Rainer Maria Rilke
20.9.1901, Westerwede


Du bist der Arme, du der Mittellose

Du bist der Arme, du der Mittellose, 
du bist der Stein, der keine Stätte hat, 
du bist der fortgeworfene Leprose, 
der mit der Klapper umgeht vor der Stadt. 

Denn dein ist nichts, so wenig wie des Windes, 
und deine Blöße kaum bedeckt der Ruhm; 
das Alltagskleidchen eines Waisenkindes 
ist herrlicher und wie ein Eigentum. 

Du bist so arm wie eines Keimes Kraft 
in einem Mädchen, das es gern verbürge 
und sich die Lenden presst, dass sie erwürge 
das erste Atmen ihrer Schwangerschaft. 

Und du bist arm: so wie der Frühlingsregen, 
der selig auf der Städte Dächer fällt, 
und wie ein Wunsch, wenn Sträflinge ihn hegen 
in einer Zelle, ewig ohne Welt. 
Und wie die Kranken, die sich anders legen 
und glücklich sind; wie Blumen in Geleisen 
so traurig arm im irren Wind der Reisen; 
und wie die Hand, in die man weint, so arm... 

Und was sind Vögel gegen dich, die frieren, 
was ist ein Hund, der tagelang nicht fraß, 
und was ist gegen dich das Sichverlieren, 
das stille lange Traurigsein von Tieren, 
die man als Eingefangene vergaß? 

Und alle Armen in den Nachtasylen, 
was sind sie gegen dich und deine Not? 
Sie sind nur kleine Steine, keine Mühlen, 
aber sie mahlen doch ein wenig Brot. 

Du aber bist der tiefste Mittellose, 
der Bettler mit verborgenem Gesicht; 
du bist der Armut große Rose
die ewige Metamorphose 
des Goldes in das Sonnenlicht. 

Du bist der leise Heimatlose, 
der nichtmehr einging in die Welt: 
zu groß und schwer zu jeglichem Bedarfe. 
Du heulst im Sturm. Du bist wie eine Harfe, 
an welcher jeder Spielende zerschellt. 


Rainer Maria Rilke 
18.4.1903, Viareggio.

Rosen


RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
Rilke immer unter : Mit Rilke durch das Jahr - Rainer Maria Rilke

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Sommer - eine kleine Serie in Rilkes Dichtung :

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Heute möchte ich mich mit Gedichten von Rainer Maria Rilke beschäftigen in denen der Sommer, das Wort Sommer oder Sommer überhaupt vorkommt. 
Sommer setze ich auch in Verbindung zur Kunst mit den Tags oder Schlagworten wie :
Kunst und Gedichte, Gedichte und Kunst. Kunst war ein Thema über das Rainer Maria Rilke auch viel zu sagen hatte.



Zum Sommer, dieses Lebensgefühl beschreibt Rilke auf vielfache Art, ob nun in Verbindung mit Orten, Personen, der Liebe, einfachen Dingen, Urlaub, Reise, Müßiggang, Trägheit, Hitze, Rilke findet die richtigen Worte.

Obwohl eigentlich ein Liebesgedicht, hier nun meine erste Auswahl:


Camille Pissarro, Häuser vonl ' Hermitage,Pontoise. 1879
Sieben Gedichte
                        I 

Auf einmal fasst die Rosenpflückerin
die volle Knospe seines Lebensgliedes,
und an dem Schreck des Unterschiedes
schwinden die [linden] Gärten in ihr hin

                        II 

Du hast mir, Sommer, der du plötzlich bist,
zum jähen Baum den Samen aufgezogen.
(Innen Geräumige, fühl in dir den Bogen
der Nacht, in der er mündig ist.)
Nun hob er sich und wächst zum Firmament,
ein Spiegelbild das neben Bäumen steht.
O stürz ihn, dass er, umgedreht
in deinen Schoß, den Gegen-Himmel kennt,
in den er wirklich bäumt und wirklich ragt.
Gewagte Landschaft, wie sie Seherinnen
in Kugeln schauen. Jenes Innen
in das das Draußensein der Sterne jagt.
[Dort tagt der Tod, der draußen nächtig scheint.
Und dort sind alle, welche waren,
mit allen Künftigen vereint
und Scharen scharen sich um Scharen
wie es der Engel meint.]

                        III 

Mit unsern Blicken schließen wir den Kreis,
dass weiß in ihm wirre Spannung schmölze.
Schon richtet dein unwissendes Geheiß
die Säule auf in meinem Schamgehölze.

Von dir gestiftet steht des Gottes Bild
am leisen Kreuzweg unter meinem Kleide;
mein ganzer Körper heißt nach ihm. Wir beide
sind wie ein Gau darin sein Zauber gilt.

Doch Hain zu sein und Himmel um die Herme
das ist an dir. Gieb nach. Damit
der freie Gott inmitten seiner Schwärme
aus der entzückt zerstörten Säule tritt.

                        IV 

Schwindende, du kennst die Türme nicht.
Doch nun sollst du einen Turm gewahren
mit dem wunderbaren
Raum in dir. Verschließ dein Angesicht.
Aufgerichtet hast du ihn
ahnungslos mit Blick und Wink und Wendung.
Plötzlich starrt er von Vollendung,
und ich, Seliger, darf ihn beziehn.
Ach wie bin ich eng darin.
Schmeichle mir, zur Kuppel auszutreten:
um in deine weichen Nächte hin
mit dem Schwung schoßblendender Raketen
mehr Gefühl zu schleudern, als ich bin.

                        V 

Wie hat uns der zu weite Raum verdünnt.
Plötzlich besinnen sich die Überflüsse.
Nun sickert durch das stille Sieb der Küsse
des bittren Wesens Alsem und Absynth.

Was sind wir viel, aus meinem Körper hebt
ein neuer Baum die überfüllte Krone
und ragt nach dir: denn sieh, was ist er ohne
den Sommer, der in deinem Schoße schwebt.
Bist du's bin ich's, den wir so sehr beglücken?
Wer sagt es, da wir schwinden. Vielleicht steht
im Zimmer eine Säule aus Entzücken,
die Wölbung trägt und langsamer vergeht.

                        VI 

Wem sind wir nah? Dem Tode oder dem,
was noch nicht ist? Was wäre Lehm an Lehm,
formte der Gott nicht fühlend die Figur,
die zwischen uns erwächst.     Begreife nur:
das ist mein Körper, welcher aufersteht.
Nun hilf ihm leise aus dem heißen Grabe
in jenen Himmel, den ich in dir habe:
daß kühn aus ihm das Überleben geht.
Du junger Ort der tiefen Himmelfahrt.
Du dunkle Luft voll sommerlicher Pollen.
Wenn ihre tausend Geister in dir tollen,
wird meine steife Leiche wieder zart.

                        VII 

Wie rief ich dich. Das sind die stummen Rufe,
die in mir süß geworden sind.
Nun stoß ich in dich Stufe ein um Stufe
und heiter steigt mein Samen wie ein Kind.
Du Urgebirg der Lust: auf einmal springt
er atemlos zu deinem innern Grate.
O gieb dich hin, zu fühlen wie er nahte;
denn du wirst stürzen, wenn er oben winkt.

Rainer Maria Rilke

Zwischen 14.10 und 9.11.1915, Ort unbekannt
Sämtliche Werke, Band II, 1957.

RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
Mehr von Rilke immer unter : Mit Rilke durch das Jahr


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Maison Courtenay
QUOD VERUM TUTUM

Sommer - Eine kleine Serie in Rilkes Dichtung :

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Bild-Künstler: Edgar Degas 1834-1917, France. 
Dancer with Bouquet the Star of the Balletts.


Das XVIII. Sonett

Tänzerin: o du Verlegung 
alles Vergehens in Gang: wie brachtest du's dar. 
Und der Wirbel am Schluss, dieser Baum aus Bewegung, 
nahm er nicht ganz in Besitz das erschwungene Jahr? 

Blühte nicht, dass ihn dein Schwingen von vorhin umschwärme, 
plötzlich sein Wipfel von Stille? Und über ihr, 
war sie nicht Sonne, war sie nicht Sommer, die Wärme, 
diese unzählige Wärme aus dir? 

Aber er trug auch, er trug, dein Baum der Ekstase. 
Sind sie nicht seine ruhigen Früchte: der Krug, 
reifend gestreift, und die gereiftere Vase? 

Und in den Bildern: ist nicht die Zeichnung geblieben, 
die deiner Braue dunkler Zug 
rasch an die Wendung der eigenen Wendung geschrieben? 



Rainer Maria Rilke
Zwischen dem 15. und 18.2.1922, Chateau de Muzot.

Zu meiner Serie:
Sommer, dieses Lebensgefühl beschreibt Rilke auf vielfache Art, ob nun in Verbindung mit Orten, Personen, der Liebe, einfachen Dingen, Urlaub, Reise, Müßiggang, Trägheit, Hitze, Rilke findet die richtigen Worte. Siehe meinen Post vom 5.Juli 2013,


RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Sommer - Eine kleine Serie in Rilkes Dichtung:

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Camille Pissarro, am Wasser. 1881

Das XII. Sonett

Heil dem Geist, der uns verbinden mag; 
denn wir leben wahrhaft in Figuren. 
Und mit kleinen Schritten gehn die Uhren 
neben unserm eigentlichen Tag. 

Ohne unsern wahren Platz zu kennen, 
handeln wir aus wirklichem Bezug. 
Die Antennen fühlen die Antennen, 
und die leere Ferne trug... 

Reine Spannung. O Musik der Kräfte! 
Ist nicht durch die lässlichen Geschäfte 
jede Störung von dir abgelenkt? 

Selbst wenn sich der Bauer sorgt und handelt, 
wo die Saat in Sommer sich verwandelt, 
reicht er niemals hin. Die Erde schenkt. 

Rainer Maria Rilke
Zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot.

Zu meiner Serie:
Sommer, dieses Lebensgefühl beschreibt Rilke auf vielfache Art, ob nun in Verbindung mit Orten, Personen, der Liebe, einfachen Dingen, Urlaub, Reise, Müßiggang, Trägheit, Hitze, Rilke findet die richtigen Worte. Siehe meinen Post vom 5.Juli 2013,

Künstler : Gemälde
Camille Pissarro, am Wasser. 1881



RAINER MARIA RILKE . 1875-1926

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Lieben ....

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Titelseite
Aus  Erste Gedichte von Rainer Maria Rilke.

Lieben

Und wie mag die Liebe dir kommen sein?
Kam sie wie ein Sonnen, ein Blütenschnein,
kam sie wie ein Beten? Erzähle:

Ein Glück löste leuchtend aus Himmeln sich los
und hing mit gefalteten Schwingen groß
an meiner blühenden Seele ....

II

Das war der Tag der weißen Chrysanthemen, —
mir bangte fast vor seiner schweren Pracht...
Und dann, dann kamst du mir die Seele nehmen
tief in der Nacht.

Mir war so bang, und du kamst lieb und leise, —
ich hatte grad im Traum an dich gedacht.
Du kamst, und leis wie eine Märcheuweise
erklang die Nacht . . ..

III
Einen Maitag mit dir beisammen sein,
und selbander verloren ziehn
durch der Blüten duftqualmende Flammenreihn
zu der Laube von weißem Jasmin.

Und von dorten hinaus in den Maiblust schaun,
jeder Wunsch in der Seele so still . ..
Und ein Glück sich mitten in Mailust baun9
ein großes, — das ists, was ich will ....

Titel: Erste Gedichte 
Autor: Rilke, Rainer Maria 

 Erste Gedichte

Larenopfer (1896)
Träumen
Lieben
Advent (1898)
Gaben an verschiedene Freunde
Fahrten
Funde
Mütter

Strukturtyp: Monographie 
Verlag: Insel-Verl 
Veröffentlichungsjahr: 1913 
Veröffentlichungsort: Leipzig 
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RAINER MARIA RILKE . 1875-1926

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Die siebente Elegie

Werbung nicht mehr, nicht Werbung, entwachsene Stimme,
sei deines Schreies Natur; zwar schrieest du rein wie der Vogel,
wenn ihn die Jahreszeit aufhebt, die steigende, beinah vergessend,
dass er ein kümmerndes Tier und nicht nur ein einzelnes Herz sei,
das sie ins Heitere wirft, in die innigen Himmel. Wie er, so
würbest du wohl, nicht minder -, dass, noch unsichtbar,
dich die Freundin erführ, die stille, in der eine Antwort
langsam erwacht und über dem Hören sich anwärmt, -
deinem erkühnten Gefühl die erglühte Gefühlin.


O und der Frühling begriffe -, da ist keine Stelle,
die nicht trüge den Ton der Verkündigung. Erst jenen kleinen
fragenden Auflaut, den, mit steigernder Stille,
weithin umschweigt ein reiner bejahender Tag.
Dann die Stufen hinan, Ruf-Stufen hinan, zum geträumten
Tempel der Zukunft -; dann den Triller, Fontäne,
die zu dem drängenden Strahl schon das Fallen zuvornimmt
im versprechlichen Spiel.... Und vor sich, den Sommer.


Nicht nur die Morgen alles des Sommers -, nicht nur
wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang.
Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben,
um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig.
Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte,
nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend,
nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein,
nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends...
sondern die Nächte! Sondern die hohen, des Sommers,
Nächte, sondern die Sterne, die Sterne der Erde.
O einst tot sein und sie wissen unendlich,
alle die Sterne: denn wie, wie, wie sie vergessen!


Siehe, da rief ich die Liebende. Aber nicht sie nur
käme... Es kämen aus schwächlichen Gräbern
Mädchen und ständen... Denn wie beschränk ich,
wie, den gerufenen Ruf? Die Versunkenen suchen
immer noch Erde. - Ihr Kinder, ein hiesig
einmal ergriffenes Ding gälte für viele.
Glaubt nicht, Schicksal sei mehr, als das Dichte der Kindheit;
wie überholtet ihr oft den Geliebten, atmend,
atmend nach seligem Lauf, auf nichts zu, ins Freie.


Hiersein ist herrlich. Ihr wusstet es, Mädchen, ihr auch,
die ihr scheinbar entbehrtet, versankt -, ihr, in den ärgsten
Gassen der Städte, Schwärende, oder dem Abfall
Offene. Denn eine Stunde war jeder, vielleicht nicht
ganz eine Stunde, ein mit den Maßen der Zeit kaum
Messliches zwischen zwei Weilen -, da sie ein Dasein
hatte. Alles. Die Adern voll Dasein.
Nur, wir vergessen so leicht, was der lachende Nachbar
uns nicht bestätigt oder beneidet. Sichtbar
wollen wirs heben, wo doch das sichtbarste Glück uns
erst zu erkennen sich giebt, wenn wir es innen verwandeln.


Nirgends, Geliebte, wird Welt sein, als innen. Unser
Leben geht hin mit Verwandlung. Und immer geringer
schwindet das Außen. Wo einmal ein dauerndes Haus war,
schlägt sich erdachtes Gebild vor, quer, zu Erdenklichem
völlig gehörig, als ständ es noch ganz im Gehirne.
Weite Speicher der Kraft schafft sich der Zeitgeist, gestaltlos
wie der spannende Drang, den er aus allem gewinnt.
Tempel kennt er nicht mehr. Diese, des Herzens, Verschwendung
sparen wir heimlicher ein. Ja, wo noch eins übersteht,
ein einst gebetetes Ding, ein gedientes, geknietes -,
hält es sich, so wie es ist, schon ins Unsichtbare hin.
Viele gewahrens nicht mehr, doch ohne den Vorteil,
dass sie's nun innerlich baun, mit Pfeilern und Statuen, größer!


Jede dumpfe Umkehr der Welt hat solche Enterbte,
denen das Frühere nicht und noch nicht das Nächste gehört.
Denn auch das Nächste ist weit für die Menschen. Uns soll
dies nicht verwirren; es stärke in uns die Bewahrung
der noch erkannten Gestalt. - Dies stand einmal unter Menschen,
mitten im Schicksal stands, im vernichtenden, mitten
im Nichtwissen-Wohin stand es, wie seiend, und bog
Sterne zu sich aus gesicherten Himmeln. Engel,
dir noch zeig ich es, da! in deinem Anschaun
steht es gerettet zuletzt, nun endlich aufrecht.
Säulen, Pylone, der Sphinx, das strebende Stemmen,
grau aus vergehender Stadt oder aus fremder, des Doms.


War es nicht Wunder? O staune, Engel, denn wir sinds,
wir, o du Großer, erzähls, dass wir solches vermochten, mein Atem
reicht für die Rühmung nicht aus. So haben wir dennoch
nicht die Räume versäumt, diese gewährenden, diese
unseren Räume. (Was müssen sie fürchterlich groß sein,
da sie Jahrtausende nicht unseres Fühlns überfülln.)
Aber ein Turm war groß, nicht wahr? O Engel, er war es, -
groß, auch noch neben dir? Chartres war groß -, und Musik
reichte noch weiter hinan und überstieg uns. Doch selbst nur
eine Liebende -, oh, allein am nächtlichen Fenster....
reichte sie dir nicht ans Knie -? Glaub nicht, dass ich werbe.
Engel, und würb ich dich auch! Du kommst nicht. Denn mein
Anruf ist immer voll Hinweg; wider so starke
Strömung kannst du nicht schreiten. Wie ein gestreckter
Arm ist mein Rufen. Und seine zum Greifen
oben offene Hand bleibt vor dir
offen, wie Abwehr und Warnung,
Unfasslicher, weitauf.


Rainer Maria Rilke
7. und 26.2.1922, Muzot


Zu meiner Serie:
Sommer, dieses Lebensgefühl beschreibt Rilke auf vielfache Art, ob nun in Verbindung mit Orten, Personen, der Liebe, einfachen Dingen, Urlaub, Reise, Müßiggang, Trägheit, Hitze, Rilke findet die richtigen Worte. Siehe meinen Post vom 5.Juli2013.

Fürstin Marie von Thurn und Taxis u. Rainer Maria Rilke
Aus Rilkes Duineser Elegien -
Aus dem Besitz der Fürstin Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe.
(1912/1922) 


RAINER MARIA RILKE . 1875-1926

Mehr von Rilke immer unter : Mit Rilke durch das Jahr.

Geo ::.
Maison Courtenay
QUOD VERUM TUTUM

Lieben ....

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RAINER MARIA RILKE

Lieben

Aus  Erste Gedichte von Rainer Maria Rilke.


IV
Ich weiß nicht, wie mir geschieht ...
Weiß nicht, was Wonne ich lausche,
mein Herz ist fort wie im Rausche,
und die Sehnsucht ist wie ein Lied.
Und mein Mädel hat fröhliches Blut
und hat das Haar voller Sonne
und die Augen von der Madonnc,
die heute noch Wunder tut.

V
Ob dus noch denkst, daß ich dir Äpfel brachte
und dir das Goldhaar glatt strich leis und lind ?
Weißt du, das war, als ich noch gerne lachte,
und du warst damals noch ein Kind.

Dann ward ich ernst. In meinem Herzen brannte
ein junges HofFen und ein alter Gram .. .
Zur Zeit, als einmal dir die Gouvernante
den „Werther''t aus den Händen nahm.

Der Frühling rief. Ich küßte dir die Wangen,
dein Auge sah mich groß und selig an.
Das war ein Sonntag. Ferne Glocken klangen,
und Lichter gingen durch den Tann ....

VI
Wir saßen beide in Gedanken
im Weinblattdämmer — du und ich —
und Über uns in duftgen Ranken
versummte wo ein Hummel sich.

Reflexe hielten, bunte Kreise,
in deinem Haare flüchtig Rast ...
Ich sagte nichts als einmal leise:
„Was du für schöne Augen hast."

VII
Blondköpfchen hinter den Scheiben
hebt es sich ab so fein, —
sternt es ins Stäubchentreiben
oder zu mir herein?
Ist es das Köpfchen, das liebe,
das mich gefesselt halt,
oder das Stäubchengetriebe
dort in der sonnigen Welt?

Keins sieht zum andern hinüber.
Heimlich, die Stirne voll Ruh
schreitet der Abend vorüber . . . .
Und wir? Wir sehn ihm halt zu. —


Titel: Erste Gedichte 
Autor: Rilke, Rainer Maria 

Erste Gedichte

Larenopfer (1896)
Träumen
Lieben
Advent (1898)
Gaben an verschiedene Freunde
Fahrten
Funde
Mütter

Strukturtyp: Monographie 
Verlag: Insel-Verlag
Veröffentlichungsjahr: 1913 
Veröffentlichungsort: Leipzig 
GoogleMaps Leipzig


RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
Mehr von Rilke immer unter : Mit Rilke durch das Jahr.

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