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Channel: RAINER MARIA RILKE . 1875-1926
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Sonette an Orpheus V. bis IX.

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Rainer Maria Rilke -  Die Sonette an Orpheus


Charles François Jalabert, Nymphs Listening to the Songs of Orpheus
Erster Teil 

Das V. Sonett

Errichtet keinen Denkstein. Lasst die Rose
nur jedes Jahr zu seinen Gunsten blühn.
Denn Orpheus ists. Seine Metamorphose
in dem und dem. Wir sollen uns nicht mühn

um andre Namen. Ein für alle Male
ists Orpheus, wenn es singt. Er kommt und geht.
Ists nicht schon viel, wenn er die Rosenschale
um ein paar Tage manchmal übersteht?

O wie er schwinden muss, dass ihrs begrifft!
Und wenn ihm selbst auch bangte, dass er schwände.
Indem sein Wort das Hiersein übertrifft,

ist er schon dort, wohin ihrs nicht begleitet.
Der Leier Gitter zwangt ihm nicht die Hände.
Und er gehorcht, indem er überschreitet.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922,
Chateau de Muzot

Das VI. Sonett

Ist er ein Hiesiger? Nein, aus beiden
Reichen erwuchs seine weite Natur.
Kundiger böge die Zweige der Weiden,
wer die Wurzeln der Weiden erfuhr.

Geht ihr zu Bette, so lasst auf dem Tische
Brot nicht und Milch nicht; die Toten ziehts -.
Aber er, der Beschwörende, mische
unter der Milde des Augenlids

ihre Erscheinung in alles Geschaute;
und der Zauber von Erdrauch und Raute
sei ihm so wahr wie der klarste Bezug.

Nichts kann das gültige Bild ihm verschlimmern;
sei es aus Gräbern, sei es aus Zimmern,
rühme er Fingerring, Spange und Krug.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922,
Chateau de Muzot

Das VII. Sonett

Rühmen, das ists! Ein zum Rühmen Bestellter,
ging er hervor wie das Erz aus des Steins
Schweigen. Sein Herz, o vergängliche Kelter
eines den Menschen unendlichen Weins.

Nie versagt ihm die Stimme am Staube,
wenn ihn das göttliche Beispiel ergreift.
Alles wird Weinberg, alles wird Traube,
in seinem fühlenden Süden gereift.

Nicht in den Grüften der Könige Moder
straft ihm die Rühmung lügen, oder
dass von den Göttern ein Schatten fällt.

Er ist einer der bleibenden Boten,
der noch weit in die Türen der Toten
Schalen mit rühmlichen Früchten hält.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922,
und kurz vor dem 23.2.1922,
Chateau de Muzot

Das VIII. Sonett

Nur im Raum der Rühmung darf die Klage
gehn, die Nymphe des geweinten Quells,
wachend über unserm Niederschlage,
dass er klar sei an demselben Fels,

der die Tore trägt und die Altäre. -
Sieh, um ihre stillen Schultern früht
das Gefühl, dass sie die jüngste wäre
unter den Geschwistern im Gemüt.

Jubel weiß, und Sehnsucht ist geständig, -
nur die Klage lernt noch; mädchenhändig
zählt sie nächtelang das alte Schlimme.

Aber plötzlich, schräg und ungeübt,
hält sie doch ein Sternbild unsrer Stimme
in den Himmel, den ihr Hauch nicht trübt.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922,
Chateau de Muzot

Das IX. Sonett

Nur wer die Leier schon hob
auch unter Schatten,
darf das unendliche Lob
ahnend erstatten.

Nur wer mit Toten vom Mohn
aß, von dem ihren,
wird nicht den leisesten Ton
wieder verlieren.

Mag auch die Spieglung im Teich
oft uns verschwimmen:
Wisse das Bild.
Erst in dem Doppelbereich
werden die Stimmen
ewig und mild.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922,
Chateau de Muzot 

Wallis, Sierre, Schweiz, Château de Muzot.
Geo ::.

Sonette an Orpheus X. bis XV.

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 Rainer Maria Rilke - Die Sonette an Orpheus


John Macallan Swan, Orpheus spielt vor den Tieren. 1896
Erster Teil
 
Das X. Sonett

Euch, die ihr nie mein Gefühl verließt,
grüß ich, antikische Sarkophage,
die das fröhliche Wasser römischer Tage
als ein wandelndes Lied durchfließt.

Oder jene so offenen, wie das Aug
eines frohen erwachenden Hirten,
- innen voll Stille und Bienensaug -
denen entzückte Falter entschwirrten;

alle, die man dem Zweifel entreißt,
grüß ich, die wiedergeöffneten Munde,
die schon wussten, was schweigen heißt.

Wissen wirs, Freunde, wissen wirs nicht?
Beides bildet die zögernde Stunde
in dem menschlichen Angesicht.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XI. Sonett
Steh den Himmel. Heißt kein Sternbild »Reiter«?
Denn dies ist uns seltsam eingeprägt:
dieser Stolz aus Erde. Und ein Zweiter,
der ihn treibt und hält und den er tragt.

Ist nicht so, gejagt und dann gebändigt,
diese sehnige Natur des Seins?
Weg und Wendung. Doch ein Druck verständigt.
Neue Weite. Und die zwei sind eins.

Aber sind sie's? Oder meinen beide
nicht den Weg, den sie zusammen tun?
Namenlos schon trennt sie Tisch und Weide.

Auch die sternische Verbindung trügt.
Doch uns freue eine Weile nun
der Figur zu glauben. Das genügt.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XII. Sonett
Heil dem Geist, der uns verbinden mag;
denn wir leben wahrhaft in Figuren.
Und mit kleinen Schritten gehn die Uhren
neben unserm eigentlichen Tag.

Ohne unsern wahren Platz zu kennen,
handeln wir aus wirklichem Bezug.
Die Antennen fühlen die Antennen,
und die leere Ferne trug...

Reine Spannung. O Musik der Kräfte!
Ist nicht durch die lässlichen Geschäfte
jede Störung von dir abgelenkt?

Selbst wenn sich der Bauer sorgt und handelt,
wo die Saat in Sommer sich verwandelt,
reicht er niemals hin. Die Erde schenkt.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XIII. Sonett

Voller Apfel, Birne und Banane,
Stachelbeere... Alles dieses spricht
Tod und Leben in den Mund... Ich ahne...
Lest es einem Kind vom Angesicht,

wenn es sie erschmeckt. Dies kommt von weit.
Wird euch langsam namenlos im Munde?
Wo sonst Worte waren, fließen Funde,
aus dem Fruchtfleisch überrascht befreit.

Wagt zu sagen, was ihr Apfel nennt.
Diese Süße, die sich erst verdichtet,
um, im Schmecken leise aufgerichtet,

klar zu werden, wach und transparent,
doppeldeutig, sonnig, erdig, hiesig -:
O Erfahrung, Fühlung, Freude -, riesig!

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XIV. Sonett

Wir gehen um mit Blume, Weinblatt, Frucht.
Sie sprechen nicht die Sprache nur des Jahres.
Aus Dunkel steigt ein buntes Offenbares
und hat vielleicht den Glanz der Eifersucht

der Toten an sich, die die Erde stärken.
Was wissen wir von ihrem Teil an dem?
Es ist seit lange ihre Art, den Lehm
mit ihrem freien Marke zu durchmärken.

Nun fragt sich nur: tun sie es gern?...
Drängt diese Frucht, ein Werk von schweren Sklaven,
geballt zu uns empor, zu ihren Herrn?

Sind sie die Herrn, die bei den Wurzeln schlafen,
und gönnen uns aus ihren Überflüssen
dies Zwischending aus stummer Kraft und Küssen?

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XV. Sonett

Wartet..., das schmeckt... Schon ists auf der Flucht
.... Wenig Musik nur, ein Stampfen, ein Summen -:
Mädchen, ihr warmen, Mädchen, ihr stummen,
tanzt den Geschmack der erfahrenen Frucht!

Tanzt die Orange. Wer kann sie vergessen,
wie sie, ertrinkend in sich, sich wehrt
wider ihr Süßsein. Ihr habt sie besessen.
Sie hat sich köstlich zu euch bekehrt.

Tanzt die Orange. Die wärmere Landschaft,
werft sie aus euch, dass die reife erstrahle
in Lüften der Heimat! Erglühte, enthüllt

Düfte um Düfte. Schafft die Verwandtschaft
mit der reinen, sich weigernden Schale,
mit dem Saft, der die Glückliche füllt!

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot
Geo ::.

Sonette an Orpheus XVI. bis XX.

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Rainer Maria Rilke - Die Sonette  an Orpheus


Orpheus mit der Lyra
Erster Teil

Das XVI. Sonett

Du, mein Freund, bist einsam, weil....
Wir machen mit Worten und Fingerzeigen
uns allmählich die Welt zu eigen,
vielleicht ihren schwächsten, gefährlichsten Teil.
Wer zeigt mit Fingern auf einen Geruch? -
Doch von den Kräften, die uns bedrohten,
fühlst du viele... Du kennst die Toten,
und du erschrickst vor dem Zauberspruch.

Sieh, nun heißt es zusammen ertragen
Stückwerk und Teile, als sei es das Ganze.
Dir helfen, wird schwer sein. Vor allem: pflanze

mich nicht in dein Herz. Ich wüchse zu schnell.
Doch meines Herrn Hand will ich führen und sagen:
Hier. Das ist Esau in seinem Fell.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XVII. Sonett

Zu unterst der Alte, verworrn,
all der Erbauten
Wurzel, verborgener Born,
den sie nie schauten.

Sturmhelm und Jägerhorn,
Spruch von Ergrauten,
Männer im Bruderzorn,
Frauen wie Lauten...

Drängender Zweig an Zweig,
nirgends ein freier.... Einer!
O steig... o steig...

Aber sie brechen noch.
Dieser erst oben doch
biegt sich zur Leier.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot


Das XVIII. Sonett

Hörst du das Neue, Herr,
dröhnen und beben?
Kommen Verkündiger,
die es erheben.

Zwar ist kein Hören heil
in dem Durchtobtsein,
doch der Maschinenteil
will jetzt gelobt sein.

Sieh, die Maschine:
wie sie sich wälzt und rächt
und uns entstellt und schwächt.

Hat sie aus uns auch Kraft,
sie, ohne Leidenschaft,
treibe und diene.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XIX. Sonett

Wandelt sich rasch auch die Welt
wie Wolkengestalten,
alles Vollendete fällt
heim zum Uralten.

Über dem Wandel und Gang,
weiter und freier,
währt noch dein Vor-Gesang,
Gott mit der Leier.

Nicht sind die Leiden erkannt,
nicht ist die Liebe gelernt,
und was im Tod uns entfernt,

ist nicht entschleiert.
Einzig das Lied überm Land
heiligt und feiert.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XX. Sonett

Dir aber, Herr, o was weih ich dir, sag,
der das Ohr den Geschöpfen gelehrt? -
Mein Erinnern an einen Frühlingstag,
seinen Abend, in Russland -, ein Pferd...
Herüber vom Dorf kam der Schimmel allein,
an der vorderen Fessel den Pflock,
um die Nacht auf den Wiesen allein zu sein;
wie schlug seiner Mähne Gelock

an den Hals im Takte des Übermuts,
bei dem grob gehemmten Galopp.
Wie sprangen die Quellen des Rossebluts!

Der fühlte die Weiten, und ob!
Der sang und der horte -, dein Sagenkreis
war in ihm geschlossen.
            Sein Bild: ich weih's.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Château de Muzot

Château de Muzot SA - Route des Crêtes 3 3968 Veyras Schweiz.
Baladine Klossowska und Rainer Maria Rilke, Muzot, CH..
Mit Hilfe der Malerin Baladine Klossowska, Rilkes damalige Geliebte
und Werner Reinhardt, nimmt Rainer Maria Rilke hier Wohnsitz im Herbst 1921.
Sowohl "Die Duineser Elegien"und die "Sonette an Orpheus" wurden in Muzot geschrieben.
Sierre, Schweiz. CH

Wünsche allen Lesern ein schönes Wochenende.
Geo ::.

Abschied

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August Macke, Innenhof eines Landhauses in St. Germain

Abschied

Wie hab ich das gefühlt, was Abschied heißt.
Wie weiß ich's noch: ein dunkles unverwundnes
Grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
Noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.

Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen,
Das, da es mich, mich rufend, gehen ließ,
Zurückblieb, so als wären's alle Frauen
Und dennoch klein und weiß und nichts als dies:

Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen,
Ein leise Weiterwinkendes -, schon kaum
Erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum,
Von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen.

Schon kehrt der Saft aus jener Allgemeinheit,
Die dunkel in den Wurzeln sich erneut,
Zurück ans Licht und speist die grüne Reinheit,
Die unter Rinden noch die Winde scheut.

Die Innenseite der Natur belebt sich,
Verheimlichend ein neues Freuet euch;
Und eines ganzen Jahres Jugend hebt sich,
Unkenntlich noch, ins starrende Gesträuch.

Des alten Nußbaums rühmliche Gestaltung
Füllt sich mit Zukunft, außen grau und kühl;
Doch junges Buschwerk zittert vor Verhaltung
Unter der kleinen Vögel Vorgefühl.

Rainer Maria Rilke

Für den Monat März.

Geo ::.

Sonette an Orpheus XXI. bis XXVI.

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Rainer Maria Rilke - Die Sonette an Orpheus


Orpheus in einem Mosaik.
Erster Teil

Das XXI. Sonett

Frühling ist wiedergekommen. Die Erde
ist wie ein Kind, das Gedichte weiß;
viele, o viele.... Für die Beschwerde
langen Lernens bekommt sie den Preis.

Streng war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße
an dem Barte des alten Manns.
Nun, wie das Grüne, das Blaue heiße,
dürfen wir fragen: sie kanns, sie kanns!
Erde, die frei hat, du glückliche, spiele
nun mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,
fröhliche Erde. Dem Frohsten gelingts.

O, was der Lehrer sie lehrte, das Viele,
und was gedruckt steht in Wurzeln und langen
schwierigen Stammen: sie singts, sie singts!

Rainer Maria Rilke,
9.2.1922, Chateau de Muzot

Das XXII. Sonett

Wir sind die Treibenden.
Aber den Schritt der Zeit,
nehmt ihn als Kleinigkeit
im immer Bleibenden.

Alles das Eilende
wird schon vorüber sein;
denn das Verweilende
erst weiht uns ein.

Knaben, o werft den Mut
nicht in die Schnelligkeit,
nicht in den Flugversuch.

Alles ist ausgeruht:
Dunkel und Helligkeit,
Blume und Buch.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XXIII. Sonett

O erst dann, wenn der Flug
nicht mehr um seinetwillen
wird in die Himmelstillen
steigen, sich selber genug,

um in lichten Profilen,
als das Gerät, das gelang,
Liebling der Winde zu spielen,
sicher, schwenkend und schlank, -

erst, wenn ein reines Wohin
wachsender Apparate
Knabenstolz überwiegt,

wird, überstürzt von Gewinn,
jener den Fernen Genahte
sein, was er einsam erfliegt.

Rainer Maria Rilke,
12. oder 13.2.1922, Chateau de Muzot

Das XXIV. Sonett

Sollen wir unsere uralte Freundschaft, die großen
niemals werbenden Götter, weil sie der harte
Stahl, den wir streng erzogen, nicht kennt, verstoßen
oder sie plötzlich suchen auf einer Karte?

Diese gewaltigen Freunde, die uns die Toten
nehmen, rühren nirgends an unsere Räder.
Unsere Gastmähler haben wir weit -, unsere Bäder,
fortgerückt, und ihre uns lang schon zu langsamen Boten

überholen wir immer. Einsamer nun auf einander
ganz angewiesen, ohne einander zu kennen,
führen wir nicht mehr die Pfade als schöne Mäander,

sondern als Grade. Nur noch in Dampfkesseln brennen
die einstigen Feuer und heben die Hämmer, die immer
größern. Wir aber nehmen an Kraft ab, wie Schwimmer.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XXV. Sonett

Dich aber will ich nun, Dich, die ich kannte
wie eine Blume, von der ich den Namen nicht weiß,
noch ein Mal erinnern und ihnen zeigen, Entwandte,
schöne Gespielin des unüberwindlichen Schrei's.

Tänzerin erst, die plötzlich, den Körper voll Zögern,
anhielt, als göss man ihr Jungsein in Erz;
trauernd und lauschend -. Da, von den hohen Vermögern
fiel ihr Musik in das veränderte Herz.

Nah war die Krankheit. Schon von den Schatten bemächtigt,
drängte verdunkelt das Blut, doch, wie flüchtig verdächtigt,
trieb es in seinen natürlichen Frühling hervor.

Wieder und wieder, von Dunkel und Sturz unterbrochen,
glänzte es irdisch. Bis es nach schrecklichem Pochen
trat in das trostlos offene Tor.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Das XXVI. Sonett

Du aber, Göttlicher, du, bis zuletzt noch Ertöner,
da ihn der Schwarm der verschmähten Mänaden befiel,
hast ihr Geschrei übertönt mit Ordnung, du Schöner,
aus den Zerstörenden stieg dein erbauendes Spiel.

Keine war da, dass sie Haupt dir und Leier zerstör.
Wie sie auch rangen und rasten, und alle die scharfen
Steine, die sie nach deinem Herzen warfen,
wurden zu Sanftem an dir und begabt mit Gehör.

Schließlich zerschlugen sie dich, von der Rache gehetzt,
wahrend dein Klang noch in Löwen und Felsen verweilte
und in den Bäumen und Vögeln. Dort singst du noch jetzt.

O du verlorener Gott!   Du unendliche Spur!
Nur weil dich reißend zuletzt die Feindschaft
verteilte, sind wir die Hörenden jetzt und ein Mund der Natur.

Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot

Ende : I. Teil.



Fortsetzung folgt.

Geo ::.

Rainer Maria Rilke

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SONNTAGSBLATT


Gustav Klimt, Bauerngarten mit Kruzifix, 1912
 Ich liebe vergessene Flurmadonnen

Ich liebe vergessene Flurmadonnen,
die ratlos warten auf irgendwen,
und Mädchen, die an einsame Bronnen,
Blumen im Blondhaar, träumen gehn.

Und Kinder, die in die Sonne singen
und staunend groß zu den Sternen sehn,
und die Tage, wenn sie mir Lieder bringen,
und die Nächte, wenn sie in Blüten stehn.

Rainer Maria Rilke


Du arme, alte Kapelle
Du arme, alte Kapelle
mit deiner verstaubten Zier -
der Frühling baut eine helle
Kirche neben dir.

Viel frierende Frauen hinken
in deine Weihrauchruh,
draußen die Kinder winken
allen Rosen zu.

Rainer Maria Rilke

  

Will dir den Frühling zeigen

Will dir den Frühling zeigen,
der hundert Wunder hat.
Der Frühling ist waldeigen
und kommt nicht in die Stadt.

Nur die weit aus den kalten
Gassen zu zweien gehn
und sich bei den Händen halten -
dürfen ihn einmal sehn.

Rainer Maria Rilke

 
 Aus Gaben an verschiedene Freundeund aus der Sammlung Funde.
Sonntagsblatt 3 / 03.03.13
RAINER MARIA RILKE

Geo ::.

Der Sänger singt vor einem Fürstenkind

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Selbstbildnis, Paula Becker-Moderson
PAULA MODERSON BECKER


*
Dem Andenken von Paula Becker-Modersohn

Du blasses Kind, an jedem Abend soll
der Sänger dunkel stehn bei deinen Dingen
und soll dir Sagen, die im Blute klingen,
über die Brücke seiner Stimme bringen
und eine Harfe, seiner Hände voll.

Nicht aus der Zeit ist, was er dir erzählt,
gehoben ist es wie aus Wandgeweben;
solche Gestalten hat es nie gegeben, -
und Niegewesenes nennt er das Leben.
Und heute hat er diesen Sang erwählt:

Du blondes Kind von Fürsten und aus Frauen,
die einsam warteten im weißen Saal, -
fast alle waren bang, dich aufzubauen,
um aus den Bildern einst auf dich zu schauen:
auf deine Augen mit den ernsten Brauen,
auf deine Hände, hell und schmal.

Du hast von ihnen Perlen und Türkisen,
von diesen Frauen, die in Bildern stehn
als stünden sie allein in Abendwiesen, -
du hast von ihnen Perlen und Türkisen
und Ringe mit verdunkelten Devisen
und Seiden, welche welke Düfte wehn.

Du trägst die Gemmen ihrer Gürtelbänder
ans hohe Fenster in den Glanz der Stunden,
und in die Seide sanfter Brautgewänder
sind deine kleinen Bücher eingebunden,
und drinnen hast du, mächtig über Länder,
ganz groß geschrieben und mit reichen, runden
Buchstaben deinen Namen vorgefunden.

Und alles ist, als wär es schon geschehn.

Sie haben so, als ob du nicht mehr kämst,
an alle Becher ihren Mund gesetzt,
zu allen Freuden ihr Gefühl gehetzt
und keinem Leide leidlos zugesehn;
so dass du jetzt
stehst und dich schämst.
... Du blasses Kind, dein Leben ist auch eines, -
der Sänger kommt dir sagen, dass du bist.
Und dass du mehr bist als ein Traum des Haines,
mehr als die Seligkeit des Sonnenscheines,
den mancher graue Tag vergisst.
Dein Leben ist so unaussprechlich Deines,
weil es von vielen überladen ist.

Empfindest du, wie die Vergangenheiten
leicht werden, wenn du eine Weile lebst,
wie sie dich sanft auf Wunder vorbereiten,
jedes Gefühl mit Bildern dir begleiten, -
und nur ein Zeichen scheinen ganze Zeiten
für eine Geste, die du schön erhebst. -

Das ist der Sinn von allem, was einst war,
dass es nicht bleibt mit seiner ganzen Schwere,
dass es zu unserm Wesen wiederkehre,
in uns verwoben, tief und wunderbar:

So waren diese Frauen elfenbeinern,
von vielen Rosen rötlich angeschienen,
so dunkelten die müden Königsmienen,
so wurden fahle Fürstenmunde steinern
und unbewegt von Waisen und von Weinern,
so klangen Knaben an wie Violinen
und starben für der Frauen schweres Haar;
so gingen Jungfraun der Madonna dienen,
denen die Welt verworren war.
So wurden Lauten laut und Mandolinen,
in die ein Unbekannter größer griff, -
in warmen Samt verlief der Dolche Schliff, -
Schicksale bauten sich aus Glück und Glauben,
Abschiede schluchzten auf in Abendlauben, -
und über hundert schwarzen Eisenhauben
schwankte die Feldschlacht wie ein Schiff.
So wurden Städte langsam groß und fielen
in sich zurück wie Wellen eines Meeres,
so drängte sich zu hochbelohnten Zielen
die rasche Vogelkraft des Eisenspeeres,
so schmückten Kinder sich zu Gartenspielen, -
und so geschah Unwichtiges und Schweres,
nur, um für dieses tägliche Erleben
dir tausend große Gleichnisse zu geben,
an denen du gewaltig wachsen kannst.

Vergangenheiten sind dir eingepflanzt,
um sich aus dir, wie Gärten, zu erheben.

Du blasses Kind, du machst den Sänger reich
mit deinem Schicksal, das sich singen lässt:
so spiegelt sich ein großes Gartenfest
mit vielen Lichtern im erstaunten Teich.
Im dunklen Dichter wiederholt sich still
ein jedes Ding: ein Stern, ein Haus, ein Wald.
Und viele Dinge, die er feiern will,
umstehen deine rührende Gestalt.

Rainer Maria Rilke
3.10.1900, Worpswede

Heinrich Vogeler, das Konzert, Sommerabend auf dem Barkenhoff, Worpswede
Links im Bilde sieht man Paula Moderson -Becker, unbekannt?, Otto Moderson, stehend, Clara Wetshoff-Rilke, stehend in der Mitte Martha Vogeler, rechts Heinrich Vogeler und ?,?.

 Barkenhoff - niederdeutsch für Birkenhof.
*
Paula Becker, verh. Moderson
Rainer Maria Rilke.
Geo::.

Die Liebende ....

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Maurice Utrillo, Sackgasse in Paris, 1910.

Die Liebende

Ja ich sehne mich nach dir. Ich gleite
mich verlierend selbst mir aus der Hand,
ohne Hoffnung, daß ich Das bestreite, 
was zu mir kommt wie aus deiner Seite
ernst und unbeirrt und unverwandt.

... jene Zeiten: 0 wie war ich Eines,
nichts was rief und nichts was mich verriet;
meine Stille war wie eines Steines,
über den der Bach sein Murmeln zieht.


Aber jetzt in diesen Frühlingswochen
hat mich etwas langsam abgebrochen
von dem unbewußten dunkeln Jahr.
Etwas hat mein armes warmes Leben
irgendeinem in die Hand gegeben,
der nicht weiß was ich noch gestern war
 
Rainer Maria Rilke,
zwischen dem 5. und 9. 8. 1907, Paris




Geo ::.

Das Leben und dazu eine Katze ....

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Franz Marc, * 8. Februar 1880 bis † 4. März 1916,  Mädchen mit Katze. 1912.

Das Leben 
und dazu eine Katze, 
das gibt eine unglaubliche Summe.
Rainer Maria Rilke.

Rilkes Spruch findet man in seiner französisch geschriebenen "Préface" 
zu den vierzig Bildern von Balthus. 
Balthus, Mitsou le Chat
Der Band: " Mitsou" Vierzig Bilder von Balthus mit einem Vorwort von Rainer Maria Rilke ist, herausgegeben von August Stahl und mit dem von ihm aus dem Französischen übersetzten Vorwort,
1995 im Insel Verlag neu erschienen.  Bei ZVAB

Die erste Veröffentlichung der Bilder Balthus’ geschah mit vierzig Darstellungen der Geschichte der Katze Mitsou, die Balthus im Alter von 13 Jahren anfertigte.
Bild oben: Balthus, die Katze Mitsou.

Rilke steuerte ein Vorwort in französischer Sparche bei. Und so tauchte auch im weiteren Verlauf seines Oeuvres die Katze als geheimnisvolles Wesen immer wieder im Hintergrund mancher Bilder auf.
Balthus, Le Roy des Chats.
Balthus mit Katze.
Rilkes Vorwort

*
 
*
YouTube : Mitsou von Balthus.


Geo ::.

Die Menschen gehen

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Vincent van Gogh,  Blick aufParis vonVincent's Zimmerin derRueLepic
 
Die Menschen gehen

Die Menschen gehn. Die Ferne flieht und fließt.
In fremde Hände fällt die schwere Stadt.
Und hinter jeder Türe, die sich schließt,
steht eine Nähe auf, verwirrt und matt.

Jetzt drängen sich die Dinge um den Dichter
als bangten sie ihn wieder zu verlieren.
Sie zeigen ihre leidenden Gesichter
dem Einsamen, dem Sagenden, dem Richter;
denn er ist einer von den Ihren.

Rainer Maria Rilke

 Aus: Gedichte 1906 bis 1910.

Geo ::.

Frühling ....

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Frühlingsblumen 
Marie von Thurn und Taxis
Es ist fast beunruhigend, diese fortwährende Frühlingsnähe -, 
Gänseblümchen und Taubnesseln unterbrechen keinen 
Augenblick ihr kleines Blühen -, und neulich in Zürich
im Baur au Lac, sah ich aus den mit Tannenzweigen zugedeckten 
Beeten die großen Stiefmütterchen ganz ausgeruht und 
aufgewacht hervordrängen, wie Kinder, die ausgeschlafen 
haben und durchaus nicht mehr im Bett bleiben wollen. 

Rainer Maria Rilke 
Aus einem Brief an Marie von Thurn und Taxis, 17.2.1921 
[ Was der Dichter so alles empfindet und beobachtet!]

Hotel

***

Geo ::.

Soll ich noch einmal Frühling haben ....

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Schloss Duino
Soll ich noch einmal Frühling haben, noch einmal
dieses Erdreichs nahe gesicherte Zukunft
nehmen wie eigenes Los? O reineres Schicksal.

Rainer Maria Rilke,

Februar 1912, Duino
Gedichte 1906 bis 1926.
Aus : Sammlung der verstreuten und
nachgelassenen Gedichte aus den mittleren und späten Jahren.

Aus einem Frühling  [Paris]

Castello Duino
Schloss Duino, rechts davon die Felsen mit dem Rilkeweg nach Sistiana
Kartenausschnitt mit Rilkeweg nach Sistiana

Wikipedia
*
*
Duino
Geo ::.

Es war ein kühne Bestürzung ....

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Es war ein kühne Bestürzung, zu sehen, wie leicht sich das lenken ließ. 
Der General, mit seinen beiden Adjutanten, hatte vor dem Invalidendom Stelle gefasst, und rechts von der gare herüber, bog es beständig in ganzer Breite ein. Der Kommandant, vorreitend, nahm eine kurze Verständigung mit dem Oberbefehlshaber, oft aber genügte auch nur ein Wink, und das Bewegte, Vielfältige begriff und nahm leicht und schwingend eine neue, ihm hell-offene Bahn.

Die Lanciers flimmerten heran, rasch, hurtig, dicht aneinander, auf den kleinen herdenhaft verträglichen Pferden. Unten ging die frohe, frühlingliche Errergung der Tiere in der Masse auf, ununterscheidbar; ihr Feinstes aber kam, einzeln, oben in den kleinen Wimpeln der Lanzen zu sich, schwang, schwebte, zitterte aus. Und was sie ausgaben, ward ihnen gleich ersetzt von der Frühlingsluft, die entzückt schien, mit hundert erhobenen freien lustigen Dingen umzugehn. Das trieb heran, schimmerte, wirbelte vorbei, als würde ein Frühling, junge Wälder, Bänder, der Gang der Bäche, zu schnell gespielt, hätte nicht Zeit zu sein. 

Und kaum ließ mans los draußen in der davon aufgeblühten Avenue, - sieh: da drängte schon dort, als öffnete sich ein Bergwerk des Lichts, die Brüstung der Kürassiere vor, schwerer, verhaltener, mühsamer. Zögernd nahmen sie ihre Wendung und strömten startk in die Richtung des Winks. 

Ihnen voran das Trompeterkorps, wie der Mund aus dem dieses gewaltige Geschöpf seinen langen Atem ausstürmen würde; der Blitz der plötzlich erhobenen, in langsam entschlossenen Bogen angesetzten Trompeten zeichnete sich deutlich ab vor der Spannung; tausend zerstreute Geräusche, die sich nicht kannten, verstanden sich, traten zurück, waren nur noch Hintergrund für den bevorstehenden Ton. 

Immer ergriffener nahm man den Hut vor den Fahnen ab, die vorüberkamen; mir fiel später ein, dass ich an jenem Morgen nur zwei Tote gegrüßt hatte (Jungverstorbene unter weißen Bahrtüchern) und sieben Fahnen. Ich war stolz auf meine Bekanntschaft.

RAINER MARIA RILKE, 
Frühling 1913, Paris
Sämtliche Werke, Band IV
Marc Chagall, Paris durch das Fenster gesehen. 1913.
MARC CHAGALL,
malt Paris die Metropole an der Seine 1913. Es ist eine der wenigen Stadtansichten in seinem Werk – und es ist ein programmatisches Bild, entstanden ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Chagall lebt bereits drei Jahre in Paris, dem Zentrum der Avantgarde. Er ist fasziniert von den neuen Kunstrichtungen Fauvismus, Kubismus und Orphismusauch ein andere beschreibt diese Zeit vor dem 1. Weltkrieg.
Florian Illies in seinem Buch -  1913 Sommer des Jahrhunderts:


 
Geo ::.

Rainer Maria Rilke, "Die Parke" ....

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Die Parke

            I
Unaufhaltsam heben sich die Parke
aus dem sanft zerfallenden Vergehn;
überhäuft mit Himmeln, überstarke
Überlieferte, die überstehn,

um sich auf den klaren Rasenplänen
auszubreiten und zurückzuziehen,
immer mit demselben souveränen
Aufwand, wie beschützt durch ihn,

und den unerschöpflichen Erlös
königlicher Größe noch vermehrend,
aus sich steigend, in sich wiederkehrend:
huldvoll, prunkend, purpurn und pompös.

            II
Leise von den Alleen
ergriffen, rechts und links,
folgend dem Weitergehen
irgend eines Winks,

trittst du mit einem Male
in das Beisammensein
einer schattigen Wasserschale
mit vier Bänken aus Stein;

in eine abgetrennte
Zeit, die allein vergeht.
Auf feuchte Postamente,
auf denen nichts mehr steht,

hebst du einen tiefen
erwartenden Atemzug;
während das silberne Triefen
von dem dunkeln Bug

dich schon zu den Seinen
zählt und weiterspricht.
Und du fühlst dich unter Steinen
die hören, und rührst dich nicht.

            III
Den Teichen und den eingerahmten Weihern
verheimlicht man noch immer das Verhör
der Könige. Sie warten unter Schleiern,
und jeden Augenblick kann Monseigneur

vorüberkommen; und dann wollen sie
des Königs Laune oder Trauer mildern
und von den Marmorrändern wieder die
Teppiche mit alten Spiegelbildern

hinunterhängen, wie um einen Platz:
auf grünem Grund, mit Silber, Rosa, Grau,
gewährtem Weiß und leicht gerührtem Blau
und einem Könige und einer Frau
und Blumen in dem wellenden Besatz.

            IV
Und Natur, erlaucht und als verletze
sie nur unentschlossnes Ungefähr,
nahm von diesen Königen Gesetze,
selber selig, um den Tapis-vert

ihrer Bäume Traum und Übertreibung
aufzutürmen aus gebauschtem Grün
und die Abende nach der Beschreibung
von Verliebten in die Avenün

einzumalen mit dem weichen Pinsel,
der ein firnisklares aufgelöstes
Lächeln glänzend zu enthalten schien:

der Natur ein liebes, nicht ihr größtes,
aber eines, das sie selbst verliehn,
um auf rosenvoller Liebes-Insel
es zu einem größern aufzuziehn.

            V
Götter von Alleen und Altanen,
niemals ganzgeglaubte Götter, die
altern in den gradbeschnittnen Bahnen,
höchstens angelächelte Dianen
wenn die königliche Venerie

wie ein Wind die hohen Morgen teilend
aufbrach, übereilt und übereilend - ;
höchstens angelächelte, doch nie

angeflehte Götter. Elegante
Pseudonyme, unter denen man
sich verbarg und blühte oder brannte, -
leichtgeneigte, lächelnd angewandte
Götter, die noch manchmal dann und wann

Das gewähren, was sie einst gewährten,
wenn das Blühen der entzückten Gärten
ihnen ihre kalte Haltung nimmt;
wenn sie ganz von ersten Schatten beben
und Versprechen um Versprechen geben,
alle unbegrenzt und unbestimmt.

            VI
Fühlst du, wie keiner von allen
Wegen steht und stockt:
von gelassenen Treppen fallen,
durch ein Nichts von Neigung
leise weitergelockt,
über alle Terrassen
die Wege, zwischen den Massen
verlangsamt und gelenkt,
bis zu den weiten Teichen,
wo sie (wie einem Gleichen)
der reiche Park verschenkt

an den reichen Raum: den Einen,
der mit Scheinen und Widerscheinen
seinen Besitz durchdringt,
aus dem er von allen Seiten
Weiten mit sich bringt,
wenn er aus schließenden Weihern
zu wolkigen Abendfeiern
sich in die Himmel schwingt.

            VII
Aber Schalen sind, drin der Najaden
Spiegelbilder, die sie nicht mehr baden,
wie ertrunken liegen, sehr verzerrt;
die Alleen sind durch Balustraden
in der Ferne wie versperrt.

Immer geht ein feuchter Blätterfall
durch die Luft hinunter wie auf Stufen,
jeder Vogelruf ist wie verrufen,
wie vergiftet jede Nachtigall.

Selbst der Frühling ist da nicht mehr gebend,
diese Büsche glauben nicht an ihn;
ungern duftet trübe, überlebend
abgestandener Jasmin

alt und mit Zerfallendem vermischt.
Mit dir weiter rückt ein Bündel Mücken,
so als würde hinter deinem Rücken
alles gleich vernichtet und verwischt.

Rainer Maria Rilke

I-IV: 9.8.1907, Paris, V-VII: 9. - 17.8.1907 .

Rilkes Zyklus "Die Parke" - Reinhard Lettau Smith College

[Nominativ: Plural 1 Die Parks, Plural 2 Die Parke.]
Park, Die Orangerie des Schlosses Versailles
Gustav Klimt, Park vom Schloss Schönbrunn. 1916
 Geo ::.

Info : Am Strande - Rainer Maria Rilke ....

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Junge Musiker interpretieren Meisterwerke der deutschen Lyrik auf ihre ganz eigene Art und zeigen auf beeindruckende Weise, dass junge Menschen auch heute noch einen Zugang zu klassischen Werken finden können.

Am Strande (Rainer Maria Rilke)


Geo ::.

Rainer Maria Rilke - Verbindungen ....

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Mela Muter, Portrait Sidonie, Gabriel Colette.

Sonntagsblatt


"Meine teuere, bezaubernde Freundin, 
schrieb der Dichter Rainer Maria Rilke 1926 auf hellblaues Briefpapier, eines Tages werden Sie sicherlich mein Portrait malen - wie sollte ich Ihrem Elan widerstehen!"
Die Aussicht war begründet dem Schwung der schönen Rilke Freundin 
Mela Muter erlagen damals viele berühmte Männer.
Mela Muter.
Mela Muter 
eigentlich Maria Melania Mutermilch, 
geboren * 1876 in Warschau, gestorben † 1967 in Paris, 
war eine polnisch-französische Malerin jüdischer Abstammung, die vorwiegend in Frankreich lebte und wirkte.

Sie stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie in Polen.
Sie verbrachte den Großteil ihres Lebens im Ausland, in Frankreich. 
Sie hatte lose Kontakte mit polnischen Künstlern in Paris, war Teil des internationalen Künstlerkreis der École de Paris, und nahm an gemeinsamen Ausstellungen teil zBsp.: die Galerie du Musée Crillon.
Die Malerin Mela Muter
Sie besuchte ein einjähriges Studium an der School of Drawing and Painting for Women Milosz Kotarbinski in Warschau. Im Jahr 1901 zog sie nach Paris, im Jahr 1927 bekommt sie die  Französisch Staatsbürgerschaft. Von 1902 an wurde ihre Arbeit bei der jährlichen Salon in Paris präsentiert, sie schickte auch Werke, die vielen nationalen Gruppenausstellungen (nach in Krakau, Lemberg, Warschau). Eine Reihe von Einzelausstellungen ihrer Arbeiten eröffnet die Show in Barcelona Galerie Dalmau, José (1912). 
Pariser Straßen, von Mela Muter.
Im selben Jahr wurde er Mitglied der Pariser Société Nationale des Beaux-Arts. Sie malte viel, oft in Paris vorgestellt, weniger regelmäßig in München, in Pittsburgh. 
Mela Muter hatte wichtige Einzelausstellungen in der Galerie Chéron (1918) und Druet (1926 und 1928) und in Polen bei der Gesellschaft zur Förderung der Schönen Künste (1923).
Ihre Persönlichkeit war durch umfangreiche direkte Kontakte zu den Pariser Künstlern und der intellektuellen Elite geprägt. 
Ausstellungsankündigung
Zu ihren Bekannten zählten in Paris ansässige polnische Künstler wie Leopold Gottlieb, Wladyslaw Reymont, Leopold Staff, Stefan Zeromski und Henri Barbusse, Arthur Honegger, Auguste Peret  er war auch der Architekt ihres Hauses, 
Diego Rivera, Romain Rolland, und eben der Dichter Rainer Maria Rilke
der bis zum Ende seines Lebens mit ihr befreundet war.
Rainer Maria Rilke im Wallis.
zu Rilkes Tod
Wikipedia schreibt ja über Mela Muter als die letzte Liebe Rilkes, ebenso schreibt man in einige französischen Artikel von Verbindung und oder einer (Brief)Affaire.
Bekannt ist seit jüngerer Zeit nur der Briefwechsel zwischen Mela Muter und Rainer Maria Rilke. Teile davon sind im SchweizerischesRilke-Archiv, im
Inventar (Schweizerisches Literaturarchiv) zu finden und einige Briefe und Schriftstücke liegen mir in Kopie vor.
Postakarte von Mela Muter an Rilke


Brief an Rilke vom 22. Juni 1926
 - Die Briefe Rilkes und Mela Muters sind handgeschrieben werden aber in Handschrift und Maschinenschrift vom Schweizerischen Rilkearchiv gegen ein Entgeld zur Verfügung gestellt. -

Von 1917 bis 1920 lebte sie mit dem Sozialisten Raymond Lefebvre (1891-1920) zusammen, 
den Stalin später ermorden ließ. 1923 organisierte die Warschauer Galeria Zacheta eine große Einzelausstellung ihrer Werke. Nach dem Tode des Vaters trat sie 1924 zum Katholizismus über, ihre Taufpaten waren das Ehepaar Lili und Wadyslaw Reymont.
1927 erhielt Muter die französische Staatsangehörigkeit.
Während des Zweiten Weltkriegs versteckte sie sich im Süden Frankreichs, unter anderem in (Avignon).
Mela Muter, Platz mit Platanen in Südfrankreich.
1945 kehrte sie nach Paris zurück, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Sie malte weiterhin, wenn auch wegen Verschlechterung ihrer Sehkraft zunehmend weniger.
Durch den Tod ihre einzigen Sohnes war Mela Muter schon traumatisiert. Auch der frühe Tod Rilkes belastete Mela Muter sehr.
Mela Muter an der Staffelei

Einige Werke von Mela Muter:
Mela Muter




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Brief von Mela Muter aus dem Jahre 1926
Geo ::.

Perlen entrollen

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Perlen entrollen. Weh, riss eine der Schnüre?
Aber was hülf es, reih ich sie wieder: du fehlst mir,
starke Schließe, die sie verhielte, Geliebte.

War es nicht Zeit? Wie der Vormorgen den Aufgang,
wart ich dich an, blass von geleisteter Nacht;
wie ein volles Theater, bild ich ein großes Gesicht,
dass deines hohen mittleren Auftritts
nichts mir entginge. 

O wie ein Golf hofft ins Offne
und vom gestreckten Leuchtturm
scheinende Räume wirft; wie ein Flussbett der Wüste,
dass es vom reinen Gebirge bestürze, noch himmlisch, der Regen, -
wie der Gefangne, aufrecht, die Antwort des einen
Sternes ersehnt, herein in sein schuldloses Fenster;
wie einer die warmen
Krücken sich wegreißt, dass man sie hin an den Altar
hänge, und daliegt und ohne Wunder nicht aufkann:
siehe, so wälz ich, wenn du nicht kommst, micht zu Ende.

Dich nur begehr ich. Muss nicht die Spalte im Pflaster,
wenn sie, armselig, Grasdrang verspürt: muss sie den ganzen
Frühling nicht wollen? Siehe, den Frühling der Erde.
Braucht nicht der Mond, damit sich sein Abbild im Dorfteich
fände, des fremden Gestirns große Erscheinung? Wie kann
das Geringste geschehn, wenn nicht die Fülle der Zukunft,
alle vollzählige Zeit, sich uns entgegenbewegt?

Bist du nicht endlich in ihr, Unsägliche? Noch eine Weile,
und ich besteh dich nicht mehr. Ich altere oder dahin
bin ich von Kindern verdrängt...

Rainer Maria Rilke, 
Entwurf Juli 1912, Venedig, 
vollendet Ende 1912, Spanien
Gesammelte Werke III

Rilkes Spanien.
Damals, als Rainer Maria Rilke in seinem unsteten Dichter- und Wanderleben zwischen November 1912
und Februar 1913 Spanien bereiste waren dies die hauptsächlichen Stationen seines Aufenthaltes:

Am 2. November 1912 kommt der Dichter mit dem Zug in Toledo an. Madrid hat er hastig durchquert,
Toledo bleibt ihm buchstäblich "unbeschreiblich". Am 26. November, einige Tage vor seiner Abreise nach Sevilla und schließlich nach Ronda, vergleicht er die Stadt mit einem Gespenst, das man nicht beschreiben könne, "wie Moses nicht der Erscheinung mächtig war und erschrak und verstummte und nur den Widerschein davon sah - so bäumt sich einem das Herz vor dieser Stadt, und mehr wird man nie sagen können als dies und nichts beweisen". Der letzte Schauplatz seiner Spanien Reise ist  Andalusien, Ronda. 
Im örtlichen Hotel Reina Victoria logiert Rilke. Folgt man einem Brief an seine Mutter, verbringt Rilke die letzten sonnigen Jahrestage 1912 „im Garten ausgestreckt in einem Klappstuhl, ohne das Mindeste zu unternehmen". In den Wochen danach beginnen das allzu warme Klima und die Schaffenskrise an ihm zu nagen, mit räumlichen Bindungen hat er zeit- lebens ebenso Probleme wie mit persönlichen. Mitte Februar 1913 reist Rainer Maria Rilke aus Ronda ab, „der Entschluss kam mir von einem Tag zum andern". 
Er kehrt nie mehr zurück. - Madrid, Toledo, Cordoba, Sevilla, Ronda. -

Geo ::.

Sei allem Abschied voran….

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Rainer Maria Rilke

Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
dir, wie der Winter, der eben geht.

Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
daß, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.
Sei immer tot in Eurydike -, singender steige,
preisender steige zurück in den reinen Bezug.
Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,
sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.
Sei - und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,
den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,
daß du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal.
Zu dem gebrauchten sowohl, wie zum dumpfen und stummen
Vorrat der vollen Natur, den unsäglichen Summen,
zähle dich jubelnd hinzu und vernichte die Zahl.

RAINER MARIA RILKE

Geo ::.

Dass ich dereinst ....

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Dass ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht
Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.
Dass von den klar geschlagenen Hämmern des Herzens
keiner versage an weichen, zweifelnden oder
jähzornigen Saiten. Dass mich mein strömendes Antlitz
glänzender mache; dass das unscheinbare Weinen
blühe. O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein,
gehärmte. Dass ich euch knieender nicht, untröstliche Schwestern,
hinnahm, nicht in euer gelöstes
Haar mich gelöster ergab. Wir Vergeuder der Schmerzen.

Wie wir sie absehn voraus in die traurige Dauer,
ob sie nicht enden vielleicht. Sie aber sind ja
Zeiten von uns, unser winter-
währiges Laubwerk, Wiesen, Teiche, angeborene Landschaft,
von Geschöpfen im Schilf und von Vögeln bewohnt.

Oben, der hohen, steht nicht die Hälfte der Himmel
über der Wehmut in uns, der bemühten Natur?
Denk, du beträtest nicht mehr dein verwildertes Leidtum,
sähest die Sterne nicht mehr durch das herbere Blättern
schwärzlichen Schmerzlaubs, und die Trümmer von Schicksal
böte dir höher nicht mehr der vergrößernde Mondschein,
dass du an ihnen dich fühlst wie ein einstiges Volk?
Lächeln auch wäre nicht mehr, das zehrende derer,
die du hinüberverlorest -, so wenig gewaltsam,
eben an dir nur vorbei, traten sie rein in dein Leid.
(Fast wie ein Mädchen, das grade dem Freier zusprach,
der sie seit Wochen bedrängt, und sie bringt ihn erschrocken
an das Gitter des Gartens, den Mann, der frohlockt und ungern
fortgeht: da stört sie ein Schritt in dem neueren Abschied,
und sie wartet und steht und da trifft ihr vollzähliges Aufschaun
ganz in das Aufschaun des Fremden, das Aufschaun der Jungfrau,
die ihn unendlich begreift, den draußen, der ihr bestimmt war,
draußen den wandernden Andern, der ihr ewig bestimmt war.
Hallend geht er vorbei.) So immer verlorst du;
als ein Besitzender nicht: wie sterbend einer,
vorgebeugt in die feucht herwehende Märznacht,
ach, den Frühling verliert in die Kehlen der Vögel.

Viel zu weit gehörst du in's Leiden. Vergäßest
du die geringste der maßlos erschmerzten Gestalten,
riefst du, schrieest, hoffend auf frühere Neugier,
einen der Engel herbei, der mühsam verdunkelten Ausdrucks
leidunmächtig, immer wieder versuchend,
dir dein Schluchzen damals, um jene, beschriebe.
Engel wie wars? Und er ahmte dir nach und verstünde
nicht dass es Schmerz sei, wie man dem rufenden Vogel
nachformt, die ihn erfüllt, die schuldlose Stimme.

Rainer Maria Rilke
Anfang 1912, Duino (Verse1-15), 
Spätherbst 1913, Paris
Gedichte 1906 bis 1926.
Aus der Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte 
aus den mittleren und späten Jahren.

Geo ::.

Nenn ich dich Aufgang oder Untergang

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Johann Christian Claussen, Elbelandschaft bei Dresden.

Nenn ich dich Aufgang oder Untergang?
Denn manchmal bin ich vor dem Morgen bang
und greife scheu nach seiner Rosen Röte -
und ahne eine Angst in seiner Flöte
vor Tagen, welche liedlos sind und lang.

Aber die Abende sind mild und mein,
von meinem Schauen sind sie stil
in meinem Armen schlafen Wälder ein, -
und ich bin selbst das Klingen über ihnen,
und mit dem Dunkel in den Violinen
verwandt durch all mein Dunkelsein.


Rainer Maria Rilke
2.2.1898, Berlin

Rilke in Berlin!Rilke lebte eine Zeit lang in der "Villa Waldfrieden" heute Hundekehlstrasse 11.
Dorft findet man eine Tafel mit der Aufschrift:

BERLINER GEDENKTAFEL

In der früher hier stehenden
"Villa Waldfrieden"
lebte von 1898 bis 1900
RAINER MARIA RILKE
4.12.1875 - 29.12.1926
Lyriker, schrieb hier 1899 die Erstfassung der
"Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke"

Link zu Berlin Schmagerndorf : [Hundekehlstr. 11 "Villa Waldfrieden"] - Persönlichkeiten  | Google Maps

Auf dieser Gedenktafel ist nicht erwähnt, dass Rilke in der "Villa Waldfrieden" eine Zeit lang  mit
Lou Andreas-Salomé zusammen lebte. 


Geo ::.
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